Am 2.12.2016 hat der Bundestag die Ausbaugesetze für Straße, Schiene und Wasserstraße des BVWP 2030 verabschiedet ohne darüber informiert worden zu sein, dass insbesondere der Straßenbau im massiven Widerspruch zu den Klimaschutzzielen und Luftreinhaltezielen steht. Verkehrswegebau führt dazu, dass der Verkehr zunimmt. Die verkehrserzeugende Wirkung des Straßenbaus wird im BVWP jedoch etwa um den Faktor 10 unterschätzt. Der Öffentlichkeit und den Parlamentariern wird eine volkswirtschaftliche Rechtfertigung des Verkehrswegebaus präsentiert, die völlig falsche Nutzen-Kosten-Verhältnisse ausweist.

Die Historie der Schönrechnerei

Im BVWP 1992 wurde die verkehrserzeugende Wirkung des Straßenbaus noch völlig ignoriert: Man tat so, als ob man nicht wüsste, dass die immer größeren Entfernungen zwischen Wohnorten und Arbeitsplätzen, der Bau von Supermärkten an den Ausfallstraßen und so weiter eine Wirkung des Baus von immer schnelleren Straßen (und Schienenstrecken) ist. Denn je schneller man fahren kann, umso größere Strecken werden zurückgelegt. Das zeigt sich im Vergleich mit früheren Zeiten, als die Verkehrsmittel und Verkehrswege noch viel langsamer waren oder auch im Vergleich mit anderen Ländern, in denen der Verkehr schneller (z.B. USA) oder deutlich langsamer (z.B. Ghana) ist als bei uns.

Beim BVWP 2003 hat man die verkehrserzeugende Wirkung neuer Straßen erstmals berücksichtigt – aber in viel zu niedrigem Umfang. Es wurde angenommen, dass nur 7,7 % der angeblich eingesparten Fahrzeit für zusätzlichen Verkehr verwendet wurde. In Wirklichkeit sind es jedoch mit guter Näherung 100 %, wie zahlreiche empirische Studien belegen. Der Wert von 7,7 % stand aber nicht im fast 400seitigen BVWP-Handbuch, sondern er wurde erst später bekannt, wobei die Begründung für die Annahme dieses Werts nicht plausibel war. Es gab leider nur wenige, darunter das Umweltbundesamt, die diese Täuschung durchschaut haben.

Aktuelle Schönrechnerei

Im aktuellen BVWP 2030 wurde die Rechnerei noch undurchsichtiger und komplizierter gemacht, wobei die Menge des durch Straßenbau verursachten Mehrverkehrs (sog. induzierter Verkehr) weiterhin dramatisch unterschätzt wird.

Im BVWP-Methoden-Handbuch findet sich hierzu die folgende wenig erhellende Information:

“… Abbildung der geänderten Zielwahl aufgrund von zwischen Planfall und Bezugsfall veränderten Widerständen im Straßennetz. Unter Widerständen werden generalisierte Kosten beispielsweise aus Fahrzeiten und Nutzerkosten verstanden. Die Zielwahländerungen werden mit Hilfe eines Gravitationsmodells ermittelt, das im Rahmen der Modellierung der MIV-Nachfrage zum Einsatz kommt. Der induzierte Verkehr wird für alle Projekte standardmäßig ermittelt.“

In den umfangreichen BVWP-Papieren wird das Verfahren nicht beschrieben und die Widerstandsfunktionen für die Straßentypen werden nicht angegeben. Die getroffenen Annahmen bleiben im Dunkeln und es gibt keine Hinweise, wie das verwendete „Gravitationsmodell“ funktioniert. Trotzdem kann man leicht erkennen, dass das Ergebnis der komplizierten Modellrechnungen falsch ist:

Im Projektinformationssystem PRINS (bvwp-projekte.de), Abschnitt 1.6 Zentrale verkehrliche/ physikalische Wirkungen, findet sich für jedes Straßenprojekt eine Angabe über die Veränderung der Fahrzeugeinsatzzeiten im Personenverkehr (PV). Beim Projekt A20, einem der größten Straßenprojekte, sind es zum Beispiel 12,96 Mio. PKW-h/a. Das sind die angeblich durch den Bau der A20 eingesparten Fahrzeiten. Tatsächlich müsste dieser Wert 0 sein, weil die eingesparte Zeit für weitere Fahrten verwendet wird. Demnach müssten für den neu erzeugten Verkehr nicht die angegebenen 1,46 Mio. PKW-h/a zu Grunde gelegt werden, sondern

1,46 + 12,96 = 14,42 Mio. PKW-h/a.

Das heißt, es wird hier ungefähr um den Faktor 10 falsch gerechnet. Dieser Fehler-Faktor ist für die einzelnen Projekte unterschiedlich. Bei manchen Projekten wird der induzierte Verkehr sogar vollständig vernachlässigt.

Pseudo-Nutzen-Kosten-Analyse

Die Nutzen-Kosten-Analyse (PRINS, Abschnitt 1.7) weist 11 Nutzenkomponenten mit 23 Unterkomponenten auf. Die größte Nutzenkomponente ist bei den meisten Projekten der Reisezeitnutzen NRZ für den Personenverkehr. Tatsächlich müsste aber NRZ = 0 gesetzt werden. Das gilt auch für wesentliche Teile des Nutzens NB bei den Betriebskosten.

Weil der überwiegende Teil des induzierten Verkehrs nicht einberechnet wird, fehlen auch die meisten Unfälle des induzierten Verkehrs und die Komponente VS ist in Wirklichkeit geringer oder negativ. Entsprechendes gilt auch für die Geräuschbelastung NG und die Abgasbelastungen NA einschließlich der CO2-Emissionen.

Nutzen des induzierten Verkehrs

Neu gegenüber dem BVWP 2003 ist der so genannte implizite Nutzen NI. Dahinter steckt der Gedanke, dass Autofahrer auf neuen, schnelleren Straßen nur dann weitere Strecken zu entfernteren Zielen fahren, wenn der Nutzen dieser zusätzlichen Fahrstrecke mindestens so hoch ist, wie die Kosten für Treibstoff und Reisezeit.

Es kann durchaus als Nutzen angesehen werden, wenn durch den Bau einer neuen Straße mit gleichem Zeitaufwand wie früher weiter entfernte Ziele erreicht werden können und wenn zum Beispiel der Wohnsitz weiter weg vom Arbeitsplatz gewählt werden kann. Ob man das so sieht, müsste die Politik entscheiden. Leider haben die Parlamentarier im Rahmen der Diskussion über den BVWP diese Frage gar nicht aufgeworfen.

Die erfolgreiche Straßenbaulobby

Die Lobbyarbeit beim Straßenbau funktioniert keineswegs so, dass Vertreter der großen Straßenbaufirmen mit Geldköfferchen im Ministerium aufkreuzen und um neue Aufträge bitten. Vielmehr sind die Straßenabteilungen der Ministerien selbst die Straßenbaulobby zusammen mit den großen Straßenplanungsbüros, wo man sich immer kompliziertere Methoden zur volkswirtschaftlichen Rechtfertigung des Straßenbaus ausdenkt. Auch viele von Drittmitteln abhängige Straßenplanungsinstitute der Universitäten müssen zur Straßenbaulobby gerechnet werden.

Am 7.11.2016 fand im Ausschuss für Verkehr und Infrastruktur des Bundestages eine Anhörung mit Sachverständigen zum BVWP statt. Die Regierungsparteien hatten als Sachverständige die Experten, die sich die BVWP-Methodik ausgedacht haben, benannt und gaben damit die inhaltliche Arbeit an diese ab. Ihr wichtigster Sachverständiger war Christoph Walther vom Verkehrsplanungsbüro PTV (Karlsruhe). Walther ist seit mehr als 20 Jahren Mitglied im FGSV-Arbeitsausschuss Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, den er jetzt leitet.

GRÜNE und LINKE hatten als Verkehrsfachleute Dr. Werner Reh vom BUND und den Bahn-Experten Dr. Martin Vieregg benannt, der durch seine Kostenprognosen für das Projekt Stuttgart 21 bekannt geworden ist. Der BUND hat bei der EU gegen den BVWP eine Beschwerde eingereicht und den BVWP als „rechtswidrig und klimapolitisch fahrlässig“ bezeichnet. Der BUND kritisierte zudem, dass Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) umgefallen sei, denn sie hätte intervenieren müssen, weil im BVWP alle von der Regierung selbst gesteckten Ziele in Sachen Nachhaltigkeit verfehlt würden. Doch auch von Dr. Reh und Dr. Vieregg wurde nicht auf den grundlegenden methodischen Fehler des BVWP hingewiesen, nämlich dass der angebliche Hauptnutzen des Straßenbaus, die Reisezeitersparnis, in der Realität gar nicht in dieser Form vorhanden ist und dass sehr viel mehr zusätzlicher Kfz-Verkehr verursacht wird als im PRINS angegeben ist.

Falsche Belastungsdiagramme

In den sogenannten Umlegungen werden die angeblichen Entlastungswirkungen des Straßenbaus berechnet, die real bei weitem nicht erreicht werden, sofern die Straßen, die entlastet werden sollen, nicht gleichzeitig massiv zurück gebaut werden. Diese Umlegungsrechnungen werden vom Büro IVV in Aachen gemacht. Obwohl man sich seit Jahrzehnten mit dieser Aufgabe beschäftigt, ist es immer noch nicht gelungen, das ganze deutsche Straßennetz mit seinen Belastungen mit brauchbarer Genauigkeit zu simulieren. Im Rahmen der BVWP-Anhörung wurde das BMVI auf zahlreiche grobe Abweichungen aufmerksam gemacht. Es wurde jedoch nichts korrigiert.

Die Pläne für die Verkehrsbelastungen 2030 können in den PRINS-Dossiers für alle BVWP-Projekte eingesehen werden. Wer sich mit konkreten Projekten beschäftigt, kann durch Vergleich mit anderen Quellen feststellen, dass die im PRINS angegebenen Belastungen der Straßen häufig falsch sind. Der größte systematische Fehler bei allen Straßenprojekten ist aber die drastische Unterschätzung des induzierten Verkehrs im Planfall. Die roten Straßenabschnitte (Verkehrszunahme) müssten dicker und die grünen (Entlastung) viel dünner sein.

Die Computerprogramme für die komplizierten Schönrechnereien haben nicht die Verkehrsministerien selbst, sondern nur die Gutachter-Büros. Das bedeutet, dass unsere Straßenbaupolitik von Verkehrsplanungsbüros gesteuert wird, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind.

In Kürze

Die staatlichen Straßenplaner und die Verkehrsplanungsbüros haben das gemeinsame Interesse, dass möglichst viele Straßen gebaut werden. Deswegen haben sich die Büros für den BVWP eine komplizierte, für die Politik undurchschaubare Schönrechnerei ausgedacht, mit der ein volkswirtschaftlicher Nutzen des Straßenbaus ausgerechnet wird, den es so nicht gibt und es werden unrealistisch hohe Entlastungen versprochen. Dass der Bau neuer Straßen im massiven Widerspruch zu den Klimaschutzzielen steht, wird im BVWP weitgehend unterschlagen, weil die verkehrserzeugende Wirkung des Straßenbaus dramatisch unterschätzt wird.

Literatur:

  1. Pfleiderer, R. und Braun, L.: Kritik an der Bundesverkehrswegeplanung. Internationales Verkehrswesen 47 (1995) 10.
  2. Pfleiderer, R.: Handbuch zur Bundesverkehrswegeplanung – Die volkswirtschaftliche Rechtfertigung des Straßenbaus ist Mumpitz. mobilogisch 3/05.
  3. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): Grünbuch nachhaltige Verkehrsinfrastruktur-planung. Zur Transformation des BVWP 2030. Berlin 2017.
  4. Heiko Balsmeyer und Karl-Heinz Ludewig: Die Zeit des Bundesverkehrswegeplans ist vorbei – Mobilitätsplan stellt Menschen ins Zentrum. In: Verkehrspolitisches Zirkular 10. DIE LINKE im Bundestag. Berlin Frühjahr 2017.

 

Dieser Artikel von Rudolf Pfleiderer und Frieder Staerke ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2017, erschienen.

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