Fußball-Fans und nachhaltiger Verkehr – geht das?

Wie nachhaltig und sicher Fußball-Europameisterschaften werden sollen, hört man ganz allgemein oft. Bei konkreten Nachfragen von MobiLogisch bei den Zuständigen wird dann aber weitergereicht – und zwar sehr schnell: Innerhalb von 24 Stunden vom Veranstalter EURO-2024 GmbH an den DFB und der dann an die UEFA. Die schickte einen Link mit Tipps für Fußball-Fans.

Daraus folgt: Die obere Ebene delegiert die Verantwortung und die Umsetzung an die Städte, in denen die Stadien liegen. Diese reichen teilweise Aufgaben weiter an die Verkehrsverbünde und an Veranstaltungsunternehmen, die das Geschehen vor und in den Stadien regeln sollen. Auch die Polizei hat natürlich ein Mitspracherecht. Die Folgen der Bottom-down-Delegierung: Auf allen städtischen Websites lassen sich mehr oder weniger detailliert ausgearbeitete „Konzeptchen“ zum Management der örtlichen Spiele finden, ein umfassendes Konzeptpapier gab es nirgendwo. Aus der Umsetzung eines gemeinsamen Konzepts und dessen Evaluierung könnte man für spätere Großveranstaltungen lernen. Diese Chance wird verpasst.

Fern und nah

Das Delegierungssystem lässt hinsichtlich der Nachhaltigkeit eine Lücke klaffen: Der größte Treibhausgas-Verursacher ist nicht die Verkehrsabwicklung vor Ort, sondern die Fahrten und Flüge der Fans und Teams nach Deutschland und zurück. In dieser Hinsicht gibt es ein positives Signal: Die Deutsche Bahn ist offiziell Partnerin der EM. Ein negatives Signal ist dagegen das Aufweichen der Nachtflugverbote für Flughäfen von Veranstalterstädten während der EM.

Zu dem Turnier werden 2,7 Millionen Besucher:innen in den Stadien erwartet. Diese beeindruckende Zahl wird jedoch von den Fan-Meilen in den zehn Veranstalterstädten locker getoppt wird: Hier rechnet man mit bis zu zwölf Millionen Feiernden. Da wirkt der Beitrag der Bahn nur gut gemeint, an Spieltagen jeweils 10.000 zusätzliche Sitzplätze gegenüber dem Regelverkehr anzubieten. Andererseits ist das vielleicht realistisch, denn wer mag schon mit ausgelassen feiernden Fan-Gruppen im selben Zug reisen.

Vor Ort

Der europäische Fußballverband (UEFA) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) haben eine Vereinbarung über eine 36-Stunden-Fahrkarte per Kombi-Ticket für die EM 2024 geschlossen. Diese ist Bestandteil der Eintrittskarten zu allen Spielen und jeweils gültig von sechs Uhr am Spieltag bis 18:00 Uhr des Folgetages im gesamten Verkehrsverbund. Acht Verkehrsverbünde sind daran beteiligt. Der VDV rechnet damit, dass je nach Austragungsort rund 70 % der Besucherinnen und Besucher bei der Reise zum und vom Stadion die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen werden. Erfahrungsgemäß nutzen bei EMs jedoch 80% der Stadionbesucher:innen den ÖPNV. Aber nur die Hälfte der Host Cities (Stuttgart, Hamburg, Leipzig, Düsseldorf, Berlin) ist in der Lage, 80% der Ticketinhaber:innen innerhalb von drei Stunden per ÖPNV zum Stadion zu befördern. Hinzu kommt: Der ÖPNV ist oft dort nicht stark genug, wo, wie eigentlich ja gewünscht, möglichst wenige Parkplätze angeboten werden. So sind in Dortmund nur 3.000 der 10.000 Parkplätze verfügbar. Stellflächen dürfen nicht allzu dicht an den Stadien sein, um einen großen Sicherheitsbereich um die Veranstaltung gewährleisten zu können. Es geht aber auch leider andersherum: Düsseldorf bietet trotz ausreichendem Nahverkehrsangebot 10.000 Parkplätze an.

Zu Fuß zum Fußball

Zum Ausgleich bietet Düsseldorf den Fans den nach eigenen Angaben „schönsten Stadionweg Europas“. Nun muss schön nicht kurz sein, aber: Bei der Standortwahl von Fan Meilen war die gute Verbindung zwischen Bahnhof und Stadion maßgeblich. Und da Dortmund ja beim ÖPNV und bei den Parkplätzen schwächelt, wirbt es mit dem „Grünen Teppich“, einem 3,6 km langen, klimafreundlichen Kunstrasen als Wegweiser, ab Hauptbahnhof innerhalb einer halben Stunde direkt entlang der wichtigsten Fan-Wege zum Stadion. Zwei Abzweigungen führen noch weiter in die Fan-Zone Friedensplatz und zum Public Viewing im Westfalenpark. Was an Kunstrasen klimafreundlich ist, konnten wir leider nicht ermitteln. Wir erfuhren aber, dass der Plastikrasen „nahezu keine Einschränkungen im täglichen Verkehr bedeutet.“ Irritiert waren wir auch über die zusätzliche Info, dass „die Breite des Teppichs auf 1,33 Meter begrenzt“ sei. Das ist gerade mal gut die Hälfte eines regelgerechten Gehwegs: Besser nicht zu Fuß ins Stadion? Eine nette Idee, um dem Fußverkehr die Wege zu verkürzen, gibt es in Köln, wo der trennende Rhein kostenlos mit der Fähre „Storch“ in enger Taktung als Verbindung zwischen verschiedenen Standorten wie Public Viewing und Fan-Zonen überwunden werden kann.

Per Rad zum Fußball: Einige der Host Cities weisen auf Maßnahmen hin, die die Möglichkeiten per Rad zum Stadion zu kommen, verbessern sollen. Selbstverständlich sind mehr Fahrradbügel am Stadion eine gute Idee für einheimische Fans. Fraglich ist jedoch, ob auswärtige Fans in wesentlicher Anzahl per Rad oder mit dem Rad in Bahn bzw. auf dem Autodach in die Städte kommen. Oder sich ein Leihrad leisten.

Widersprüche umdribbeln

Widersprüche umdribbeln. Nicht nur in Köln gibt es widersprüchliche Signale: Zum einen wird auf die begrenzte Anzahl öffentlicher Parkplätze hingewiesen, die teuer und nur im Vorverkauf erhältlich sind. Zum anderen gibt es bei den Infos zur Anreise nur Hinweise für Autofahrer:innen. In Leipzig „wird abgeraten“ mit dem Auto zu kommen, aber auch: „Anreise mit dem Auto über mehrere Autobahnen möglich, P+R-Parkplätze werden empfohlen. Keine Parkplätze am Stadion; knappe, teure Parkplätze in der Innenstadt“. Was fangen Fans mit solch einem Zick-Zack-Kurs an? Umdribbeln sie die Widersprüche und kommen freiwillig autofrei in die veranstaltenden Städte?

Deutlich wird, dass die Städte gerne Angebote machen, also Pull-Maßnahmen wie Fahrradbügel und Kunstrasen. Die im Konzept des Umweltbundesamtes vorgelegten Push-Maßnahmen, wie die Streichung von Parkplätzen, sind für Host Cities wohl zu unfreundlich.

Die Widersprüche werden aber auch nach oben delegiert. So weist Berlin vorbeugend darauf hin, dass „bestimmte Nachhaltigkeitsprozesse nicht im Entscheidungsbereich der Stadt Berlin [liegen …]. Ausgewählte Themenfelder können daher nur im Verbund mit weiteren Austragungsorten, der UEFA, dem DFB und anderen überregionalen Partnerorganisationen gestaltet werden.“ Was aber offensichtlich nicht getan wird.

Immerhin plant die EURO 24 GmbH je Tonne CO2 25 Euro in einen Fonds einzuzahlen, der CO2-Minderungen in deutschen Sportvereinen finanzieren soll. Das ist schön, aber so wird auf die organisierenden Städte natürlich kein finanzieller Druck aufgebaut.
Aber wie immer kann auch Gutes von unten kommen! So gibt es eine Vereinigung europäischer Vereine, Ligen und Fan-Clubs die unter den Motto #MorethanFootball und Football for ClimateJustice ihre Verantwortungen erkennen, aufklären und Maßnahmen umsetzen wollen.

In Kürze:

Der Beitrag stellt die wahrscheinlichen Auswirkungen der EM 2024 in zehn deutschen Städten vor. Er erläutert die Struktur der Verantwortung und ihre Delegierung auf die folgende Ebene und beschreibt und kommentiert ausgewählte Maßnahmen der kommunalen Verwaltungen.

Zahlen: Fußball-EM vs. Klima

Nach einer Prognose des Umweltbundesamtes ist der Verkehr der maßgebliche Verursacher von Emissionen bei der EM 2024 (84%). Davon ist der Flugverkehr zu rund drei Viertel der Hauptemittent, gefolgt von PKWs mit 17%. Auf den ÖPNV (Busse, Trams, S-Bahnen) entfällt lediglich ein Prozent, weitere vier auf Fernzüge und zwei auf Reisebusse.

Die Verkehrs-Emissionen, aufgeteilt auf Gruppen, werden zu 70% durch Stadion-Besucher:­innen verursacht (57% von aus dem Ausland kommende Gäste und 13% aus dem Inland). Hinzu kommen 14% der Emissionen durch Besucher:innen der Fan-Zonen, 15% durch Offizielle, VIPs und Angestellte der UEFA und lediglich 0,66% durch die Teams selbst.


Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in MobiLogisch, der Zeitschrift für eine nachhaltig bewegte Welt, Heft 2/2024, erschienen.
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Quellen

Umweltbundesamt – Konzept nachhaltige Mobilität EURO 2024
Forschungszentrum Jülich, Interdisziplinäres Forschungsprojekt zum effektiven Crowd Management bei UEFA EURO 2024
Die jeweiligen Städte-Websites, also etwa www.berlin.de
Stichwort „Verantwortung von unten“: efdn.org #MorethanFootball / Football for Climate Justice www.fcstpauli.com
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