Die Diskussion um den Grünpfeil ist wieder in Bewegung geraten: Im Jahr 2013 führte die TU Dresden im Auftrag der „Unfallforschung der Versicherer GDV“ in 75 deutschen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, davon 61 westdeutsche und 14 ostdeutsche, Untersuchungen zur Grünpfeil-Regelung durch (Befragungen, Analyse des Unfallgeschehens, Verkehrsbeobachtungen). Im März des Jahres wurde der Schlussbericht veröffentlicht. (1)

Dieser Forschungsansatz ermöglicht es den Wissenschaftlern der TU-Dresden, generelle Aussagen zu Vor- und Nachteilen der Grünpfeil-Regelung zu machen. Erkenntnisse bisheriger Untersuchungen zum Grünpfeil basieren vornehmlich auf lokalen Beobachtungen sowie vereinzelten Unfalluntersuchungen, wie es in der von der Unfallforschung des GDV erstellten Broschüre heißt (vgl. 2, S.2).

Hier wichtige Ergebnisse des Forschungs­vorha­bens der TU Dresden (vgl. 1, Kurzfassung, S. 1f.):

1.

In dreiviertel der befragten Großstädte wird die Grünpfeil-Regelung angewandt.

2.

Lediglich ein Viertel der Städte berücksichtigt alle Ausschlusskriterien gemäß Verwaltungsvorschrift zu § 37 StVO (VwV-StVO § 37).

3.

In 49 Städten wird, wie es die Verwaltungsvorschrift vorschreibt, das in Zusammenhang mit der Grünpfeil-Regelung stehende Unfallgeschehen regelmäßig überprüft, in 26 Städten also nicht. Überdies befolgen nur zehn der 49 Städte die Vorschriften genau: „Die übrigen 39 Städte zeigen Abweichungen bei den Betrachtungszeiträumen und/oder den Grenzwerten.“

4.

„Als unfallbegünstigende Faktoren haben sich (in Dresden und Köln, wo der Unfallhergang an 33 Knotenpunkten detailliert analysiert wurde – d. V.) u. a. der fehlende Zeitvorsprung für Fußgänger und Radfahrer, Sichteinschränkungen sowie eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von mehr als 50 km/h auf der übergeordneten Straße herausgestellt.“

5.

„Das gebotene wichtige Anhalten vor dem Abbiegen wird eher nur ausnahmsweise praktiziert, eine verbotene Blockade der Fußgänger- und Radverkehrswege ist zu beobachten.“

Kommentar zu Punkt 2: Hier werden zwei skandalöse Tendenzen sichtbar: A) 75 % der befragten Großstädte beachten nicht alle Ausschlusskriterien der VwV-StVO, „welche vor allem für den Schutz nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer relevant sind“ (1, S.1). Die Unfallforscher der Versicherer GDV halten fest, dass dies „zu einer Erhöhung des Unfallrisikos für Fußgänger und Radfahrer führt.“(2, S.6). B) Nur in 10 (von 75) Großstädten wird das Unfallgeschehen nach den Vorschriften der VwV-StVO überprüft.

In der zur Zeit gültigen Fassung der VwV-StVO § 37 Abs. 2 vom September 2009 sind insgesamt 11 Ausschlusskriterien aufgeführt. Danach darf laut VwV StVO § 37 Abs.2 Nr.1 und Nr. 1 a) – g) die Grünpfeil-Regelung in folgenden Situationen nicht angewandt werden:

1) – 3) unzureichende Sicht auf freigegebenen Fußgängerverkehr, Radverkehr, Kraftfahrverkehr (Nr. 1)

4) Nr. 1a) eigene Signalphase für entgegenkommende Linksabbieger

5) Nr. 1b) grüner „Räumpfeil“ für entgegenkommende Linksabbieger

6) Nr. 1c) Fahrtrichtungspfeile in den Lichtzeichen für Rechtsabbieger

7) Nr. 1d) Kreuzen oder Befahren von Gleisen beim Rechtsabbiegen

8) Nr. 1e) zu kreuzender Fahrradweg ist Zweirichtungsfahrradweg

9) Nr. 1e) zu kreuzender Fahrradweg ist Einrichtungsfahrradweg mit illegalem Befahren in Gegenrichtung

10) Nr. 1f) mehrere markierte Fahrstreifen für Rechtsabbiegen vorhanden

11) Nr. 1g) Lichtzeichenanlage dient überwiegend der Schulwegsicherung

Folgende Ausschlusskriterien werden am häufigsten missachtet (1, S.42):

„‘Mehrere markierte Fahrstreifen für das Rechtsabbiegen (...)‘ in 41% der Großstädte.

‚Unzureichende Sicht auf Fußgänger- und Fahrzeugverkehr‘ (..-.) in 34% der Großstädte.

‚Gleise von Schienenfahrzeugen werden gekreuzt (...) in 29% der Städte' “.

Selbst das Ausschlusskriterium „Schulwegsicherung“ wird in 15 % der Großstädte missachtet (vgl. ebenda, S.43).

Wenn häufig „seh- oder gehbehinderte Personen“ die Kreuzung überqueren, darf die Grünpfeil-Regelung nur in Ausnahmefällen angewandt werden (laut Abwägungskriterium VwV StVO § 37 Abs.2 Nr.2.). Selbst diese Vorschrift zum Schutz der allerschwächsten Verkehrsteilnehmer wird in 42 % der befragten Städte missachtet (vgl. ebenda, S.42).

Empfehlungen der Wissenschaftler

Sowohl die Forscher der TU Dresden als auch die Unfallforscher des GDV sehen den Grünpfeil sehr kritisch: Weil er Gefährdungen der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, weil die überwiegende Mehrzahl der Grünpfeil-Nutzer nicht anhält und dadurch die Fußgänger- und Radfahrerfurten häufig blockiert werden, schließlich, weil die Grünpfeil-Regelung von den Behörden häufig nicht korrekt verwendet wird: „Soll die Grünpfeil-Regelung dennoch weiterhin zum Einsatz kommen“, empfehlen sie: „Anpassung der Grenzwerte zur Überprüfung des Unfallgeschehens, Erweiterung der Ausschlusskriterien, wenn mehr als ein Fahrstreifen für den übergeordneten Strom vorhanden ist oder eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von mehr als 50 km/h gilt, Konkretisierung oder Erweiterung des Ausschlusskriteriums der ausreichenden Sicht für Rechtsabbieger auf Fußgänger- und Fahrzeugverkehr der freigegebenen Verkehrsrichtungen, insbesondere hinsichtlich der Sicht nach rechts“ (vgl. 1, S.202).

Die Unfallforscher des GDV halten fest, dass der Grünpfeil „keine nennenswerten Vorteile im Verkehrsablauf bringt“, andererseits aber Fußgänger und Radfahrer gefährden kann. Ihre Empfehlung: „Mit Blick auf die wachsende Bedeutung des nichtmotorisierten Verkehrs sollte die Anordnung des Grünpfeils grundsätzlich kritisch hinterfragt werden, damit keine zusätzlichen Gefahren für Fußgänger und Radfahrer entstehen.“ Weiterhin empfehlen sie: „Strenge Auslegung der vorhandenen Anwendungskriterien unter besonderer Berücksichtigung des Fußgänger- und Radverkehrs, ständige Beobachtung des Unfallgeschehens, Schaffung eines eigenen Grenzwertes für Unfallhäufungen mit Fußgänger- oder Radfahrerbeteiligung und Aufnahme in die Regelwerke, insbesondere in die VwV-StVO“, sowie „verstärkte Aufklärung und Überwachung der Anhaltepflicht“ (vgl. 2, S.14).

AG „Grünpfeil“ von FUSS e.V.

FUSS e.V. hat eine AG „Grünpfeil“ gebildet. Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse der TU Dresden und der Unfallforscher des GDV werden wir die Grünpfeil-Studie des FUSS e.V. (2006) aktualisieren sowie Fragebögen an die 75 Städte verschicken, die an der Untersuchung teilnahmen. Unser Ziel ist es, idealerweise in Zusammenarbeit mit TU Dresden und GDV, den Verordnungsgeber zu einer raschen Neufassung der VwV-StVO § 37 zu veranlassen.

Quellen:

(1) Maier, R., Hantschel, S., Ortlepp, J., Butterwege, P.: Sicherheit von Grünpfeilen. Hrsg. Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e. V. / Unfallforschung der Versicherer. Berlin. März 2015).

(2) Unfallforschung kompakt: Sicherheit von Knotenpunkten mit Grünpfeil. Hrsg. Unfallforschung der Versicherer, Februar 2015, S. 2).

 

Dieser Artikel von Peter Struben ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2015, erschienen. 

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