Das Städtewachstum stellt weltweit eine Herausforderung dar, die zunehmend nach neuen Lösungs­ansätzen bei der Verkehrsplanung verlangt, da mehr Menschen einen höheren Anteil am Verkehrssystem benötigen. Damit eine immer größer werdende Zahl von Menschen ihre Bedürfnisse gleichermaßen erfüllen können, ist es notwendig, dass diese Wege so effizient wie möglich zurückgelegt werden.

Auto vs. Fußgänger

Der Anteil der Fußgänger ist in Städten höher als in ländlichen Regionen. Dies liegt an der besseren Infrastruktur und der dadurch leichteren Erreichbarkeit von Geschäften, Schulen und Arbeitsplätzen. Da in der Vergangenheit primär das Auto als Verkehrsmittel verwendet wurde, entwickelte sich der öffentliche Raum hauptsächlich zum Verkehrsraum und seine Bedeutung als Sozialraum wurde vernachlässigt. Zur Beseitigung dieses Trends sollen durch neu entwickelte Konzepte und Kampagnen neue Planungsprozesse sowie Bewusstseinsbildung für eine Aufwertung des öffentlichen Raumes in Städten stattfinden, damit wieder mehr zu Fuß gegangen wird. Somit können der Platzbedarf jedes Einzelnen im Stadtverkehr verkleinert und die Ressourcen geschont werden.

Gründe, die vom Gehen abhalten

Es gibt einige Gründe, die Menschen davon abhalten, zu Fuß zu gehen. Den meistgenannten Grund stellt der motorisierte Verkehr dar. Unangenehme Geschwindigkeitsübertretungen, Lärm- und Feinstaubbelastung wirken sich negativ auf das Wohlbefinden der Fußgänger aus. Die meisten Fußgängerunfälle passieren durch einen Zusammenstoß mit einem Pkw. Weitere Barrieren sind lange Ampel- und Wartezeiten. Diese zwingen den Fußgänger dazu, häufig stehen bleiben zu müssen und kosten Zeit. Darüber hinaus wird es auch als sehr unangenehm empfunden, wenn Gehwege verschmutzt, die Wege nicht ausreichend beleuchtet und zu wenige Sitzmöglichkeiten vorhanden sind. Jedoch nicht nur subjektive Faktoren nehmen Einfluss auf das Wohlbefinden, sondern auch Gewohnheiten und Verhaltensmuster. Sie können sich negativ auf die Einstellung gegenüber dem Gehen auswirken. Zum Beispiel wird das Auto oft lieber als Verkehrsmittel gewählt, wenn die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel nicht gut ist, denn Fußgänger sind sehr umwegeempfindlich.

Bedeutende Motivationsfaktoren

Im Gegensatz zu den Hinderungsgründen, gibt es auch einige Motivationsfaktoren. Fußgänger sind oft der Meinung, dass das Zufußgehen eine angenehme, gesunde und umweltfreundliche Art der Fortbewegung ist. Sie schätzen es, sich in einer schönen Umgebung körperlich betätigen zu dürfen. Außerdem sind sie der Meinung, dass Gehen unkompliziert und oft auch schneller als ein anderes Verkehrsmittel ist. Um diese vorhandene Basis zu unterstützen, ist es wichtig, dass bei der Infrastrukturgestaltung darauf geachtet wird, dass Treffpunkte und Kommunikationsorte, aber auch die barrierefreie Zugänglichkeit gewährleistet sind. Die Gestaltungsqualität spielt eine große Rolle, denn wenn bei der Planung auf schön gestaltete Stadtteile geachtet wird, schafft dies eine hohe Aufenthaltsqualität für die Fußgänger.

Stadtmarketing

Da es einen wachsenden Wettbewerb unter Städten gibt, ist es umso wichtiger, Stadtmarketing zu betreiben, um Touristen anzuziehen und Einwohner zufrieden zu stellen. Darunter fällt auch die passende Vermarktung von Fußverkehrskonzepten. Stadtmarketing bedeutet nicht nur die reine Verkaufsförderung von Entwicklungsprojekten in Städten, sondern auch, dass eine nachhaltige Entwicklung von Lebens- und Erlebnisraum für die Bevölkerung geschaffen wird. Die Städte Zürich, Berlin und Wien haben sich zur Förderung des Fußverkehrs folgende Konzepte einfallen lassen.

Fußverkehrskonzept von Zürich

Laut dem BUND liegt Zürich im Jahr 2015 auf Platz 1 des europäischen Städterankings für reduzierte Schadstoffbelastung. Zürich hat 400.000 Einwohner und ist somit für den Fußverkehr auch kleinräumig genug. Das ist eine hervorragende Voraussetzung für ein funktionierendes Fußverkehrskonzept.

Die Stadt Zürich hat ein Gesamtverkehrskonzept für die Innenstadt entwickelt. Ein Teilkonzept davon, das sich „Koexistenz“ nennt, beruht dabei vor allem auf dem Fußverkehr (1). Die Integration des Fußverkehrs in den Gesamtverkehr ist maßgeblich, da lieber zu Fuß gegangen wird, wenn die Wege sicher und attraktiv gestaltet sind. Lücken und unübersichtliche Stellen im Wegenetz müssen analysiert und behoben werden. Die Stadt Zürich hat das Teilkonzept „Koexistenz“ der Mobilitätsstrategie eingeführt, da Untersuchungen gezeigt haben, dass kein Teilkonzept alleine ohne ein Gesamtverkehrskonzept entwickelt werden sollte. Es ist notwendig, Maßnahmen aus allen Bereichen umzusetzen, um gemeinsam an ein befriedigendes Resultat zu kommen. Das vollständige Ergebnis des Gesamtkonzepts soll in zehn bis 15 Jahren sichtbar sein.

Zu den Fußverkehrserfolgen zählt die internationale Aktion „Jane’s Walk“. Diese Aktion wurde ursprünglich in Toronto in Kanada im Jahr 2007 gegründet, die jährlich im Mai statt findet. Die Stadtkritikerin Jane Jacobs (1916-2006) machte sich für die Fußgängerfreundlichkeit in Städten stark, da sie der Meinung war, dass dies die Grundlage einer lebendigen Nachbarschaft sei. Bei den seit drei Jahren stattfindenden Spaziergängen in Zürich werden Volon­täre eingeladen, einen geführten Spaziergang unter einem bestimmten Thema, wie zum Beispiel die Führung eines nachhaltigen Lebensstils, durchzuführen. Durch die gemeinsamen Spaziergänge können sich Menschen untereinander kennenlernen und austauschen.

Ein weiterer Erfolg sind die Begegnungszonen. Zürich hat über 40 Begegnungszonen, die zeigen, dass es möglich ist, ein sicheres Verhältnis zwischen Fußverkehr und motorisiertem Verkehr zu schaffen. In Begegnungszonen haben Fußgänger Vorrang. Es ist erlaubt, dass sie überall die Straße queren. Sie sollen aber dabei darauf achten, dass keine Fahrzeuge behindert werden. Die Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge beträgt 20 km/h. In den Begegnungszonen dürfen Fußgänger die Straße für Spiele und sportliche Aktivitäten benützen, sowohl gemütlich flanieren als auch einkaufen gehen. Die Straße verwandelt sich so von einer ausschließlichen Verkehrsfläche in einen Treffpunkt für Kinder und Erwachsene.

Fußverkehrskonzept von Berlin

Im Jahr 2014 lag Berlin auf Platz 1 des europäischen Städterankings für reduzierte Schadstoffbelastung. Berlin ist jedoch im Jahr 2015 auf Platz 5 zurückgefallen, obwohl weiterhin für eine emissionsarme Umwelt gekämpft wird. Der Grund mag sein, dass Berlin Schwierigkeiten mit dem Haushaltsbudget hat. Trotz des Rückfalls im Ranking bietet Berlin eine hervorragende Basis für ein funktionierendes Fußverkehrskonzept, da rund 43 Prozent aller Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Das Fußverkehrskonzept für Berlin nennt sich „Fußverkehrsstrategie für Berlin“. Es soll gemeinsam mit der Verkehrsstrategie für Radfahrer dazu beitragen, die Lebensqualität in Berlin zu steigern und dazu beisteuern, sie auf Dauer auf hohem Niveau zu halten (2).

Das Konzept ist ein Leitfaden für alle Bezirke, wie Maßnahmen zur Förderung des Fußverkehrs umgesetzt werden können. Zur Umsetzung hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt das Beratungsgremium „Berlin zu Fuß“ einberufen. Dazu gehören Mitarbeiter der Polizei, Straßenverkehrsbehörde, Behindertenbeauftragte des Senats, Bezirksstadträte, Vertreter der bezirklichen Ordnungsämter und Vertreter von Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie externe Experten.

Im Jahr 2004 wurde das Projekt 20 grüne Haupt­wege® entwickelt. Dieses Wegenetz verbindet angrenzende Stadtteile und soll Bürgern aus verschiedenen Siedlungsgebieten die Möglichkeit bieten, ohne Verkehrslärm und -belästigung Parkanlagen und Naherholungsgebiete zu erreichen. Außerdem soll das Netz von insgesamt mehr als 560 km zum ruhigen Flanieren einladen, einen angenehmen Weg zum Einkäufe erledigen bieten oder eine attraktive Möglichkeit darstellen, um sportlich aktiv zu sein. Kooperationspartner dieses Projektes sind der BUND Berlin e.V., FUSS e.V., das Land Berlin und der Berliner Wanderverband e.V. Der Berliner Wanderverband kümmert sich zum Beispiel um die Wegmarkierungen. Einen wichtigen Beitrag zur Beteiligung zur Optimierung des Wegenetzes bildeten 100 Freiwillige. Diese machten auf Lücken im Wegenetz aufmerksam oder gaben Tipps für Hinweisschilder auf einen Spielplatz, Restaurants, die ausschließlich regionale und biologische Produkte verwenden, oder geschichtlich interessante Sehenswürdigkeiten.

Fußverkehrskonzept von Wien

Wien ist auch 2015 laut Mercer Index die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität geblieben. Einen ausschlaggebenden Bestandteil bildet dabei die umweltfreundliche Abwicklung des Verkehrs. Im europäischen Städteranking liegt Wien auf Platz Nummer drei bezüglich sauberer Luft und Transport. Der Anteil des Fußverkehrs am Modal Split lag 2014 bei 26 Prozent. Das ist nur ein Prozent weniger als die Pkw-Nutzung. Dieser hohe Anteil spricht für ein sehr gut ausgebautes Fußverkehrsnetz in Wien. Laut einer Befragung des Verkehrsforschungsbüros „Factum” im Jahr 2013 von 618 Personen aus Wien, gaben 60 Prozent der Befragten an, dass sie gerne zu Fuß gehen.

Im Jahr 2014 wurden der „Grundsatzbeschluss Fußverkehr“ beschlossen und mit dessen Unterzeichnung ein weiterer Schritt in Richtung Fußverkehrsförderung gesetzt, um das derzeit ho­he Niveau des Fußgängeraufkommens noch weiter zu steigern (3). Laut der Mobilitätsagentur Wien GmbH soll das Jahr 2015 in Wien das Jahr des Zufußgehens werden. Es werden den Wiener Stadtbewohnern unterschiedlichste Produkte und Projekte angeboten, um die Sicherheit und die Attraktivität des Zufußgehens zu erhöhen. Es sind zum Beispiel Events geplant, die sich „Geh-Cafés“ nennen. Diese sollen die Straßen in große Wohnzimmer verwandeln, wo sich die Menschen treffen, die an versteckten Gassen und Wegen interessiert sind. Unter anderem werden bezirksübergreifende Wegstrecken entwickelt, um den Bewohnern zu helfen, die Stadt gemütlich zu Fuß zu entdecken oder einen angenehmen Weg in die Arbeit zu finden.

Die Mobilitätsagentur Wien hat die „Wien zu Fuß“-App entwickeln lassen, die die Zielgruppe der Fußgänger ansprechen soll, die ein Smartphone besitzen. Wie aus der Abbildung ersichtlich, hat dieses Service-Produkt eine Schrittzähler-Funktion, die dazu motiviert, die von der WHO empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag zu machen. Die gegangenen Schritte kann der User gegen Belohnungen eintauschen. Partnerunternehmen der Mobilitätsagentur Wien stellen zum Beispiel Promotions für Schuhe und Reparaturservice zur Verfügung.

Eine weitere Funktion stellt der Routenplaner dar, mit dem es möglich ist, einen ansprechenden Weg zu wählen. Es kann zum Beispiel ausgewählt werden, ob Sehenswürdigkeiten, Grün­flächen oder Flaniermeilen auf dem Weg mit eingebunden werden sollen. Die letzte Funktion motiviert den User spielerisch durch Gewinnanreize zur Schatzsuche von 1.000 virtuellen Diamanten, die über ganz Wien verteilt sind. Dies ist über die Kamerafunktion des Handys möglich. Es warten interessante Preise auf den User, der als Erster die 1.000 Diamanten gefunden hat. Zu den Preisen zählen unter anderem maßgeschneiderte Schuhe im Wert von € 1.000 von der Landesinnung Wien der Schuhmacher und Orthopädieschuhmacher.

Ein Highlight in der Vergangenheit war das Streetlife Festival, das von 13. bis 14. September 2014 in Wien statt fand. Trotz des kühlen Wetters nahmen 10.000 Menschen daran teil. Es wurden beeeindruckende Radkunstvorführungen und Break-Dance-Shows geboten. Eine Attraktion war die Möglichkeit, Straßen selbst zu pflastern oder einen Bus der Wiener Linien zu lenken. Wegen des großen Erfolgs wird das Festival im Jahr 2015 während der Europäischen Mobilitätswoche stattfinden.

In Kürze

Zu Fuß gehen ist Alltagsmobilität, sie bildet die Basis und ist somit unsere wichtigste Fortbewegungsart. Jedoch hat die motorisierte Mobilität in den letzten Jahrzehnten den Fußverkehr in den Hintergrund gedrängt. Um diesem Trend entgegenzuwirken, haben die drei genannten Städte eine sehr gute Basis mit ihren Konzepten gelegt, um dem Fußverkehr wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Quellen:

(1) Stadt Zürich (2011): Verkehrskonzept Innenstadt – Aufwertung der Straßenräume, URL: www.stadt-zuerich.ch  > Tiefbauamt > Publikationen & Broschüren, Stand: 21. April 2015.

(2) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2011a): Fußverkehrsstrategie für Berlin – Fußgängerbefragung 2011/2012, Berlin.

(3) Jens, Petra (2014): Gemeinderat beschließt Förderung des Fußverkehrs, URL: www.wienzufuss.at, Stand: 8. April 2015.

(4) www.wienzufuss.at

 

Dieser Artikel von Marie Ruhsam ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2015, erschienen. 

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