Verkehrssicherheit in verkehrsberuhigten Bereichen – viele von Ihnen werden sich fragen, warum das ein Thema in der mobilogisch sein sollte: Natürlich seien solche Bereiche sicher! Die Abteilung Unfallforschung der Versicherer UDV hat sich in einer aktuellen Studie des Themas angenommen. Und siehe da: 1995 – 2012 gab es bundesweit knapp 29.000 Unfälle mit Personenschäden in verkehrsberuhigten Bereichen.

Wenn Ihnen diese Angabe etwas zu hoch vorkommt, haben Sie recht: Die Polizei erfasst nicht sauber getrennt die Unfälle nach Straßentypen. Etwa die Hälfte der erfassten Unfälle geschahen nicht in „richtigen“ Verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325 StVO), sondern auch in Tempo 30- und Fußgängerzonen, Parkplätzen oder Straßen mit anderen niedrigen Höchstgeschwindigkeiten. Wie auch immer: Relativ stabil über den Untersuchungszeitraum passiert etwa jeder zweihundertste Verkehrsunfall in Deutschland auf solchen Straßen.

Zwei von drei dieser Unfälle ereignen sich zwischen Motorisierten und Nichtmotorisierten, meist zwischen Pkw und Fußgängern. Bei jedem fünften Unfall sind ausschließlich Kfz beteiligt und immerhin jeder zehnte Unfall geschieht zwischen Fußgängern und Radlern bzw. Radler untereinander. Insgesamt gesehen sind Pkw-Fahrende an 62% aller Unfälle beteiligt, Radler/ innen an jedem sechsten, Fußgänger/innen an jedem 14. Unfall.

Uneinheitliche Gestaltung oder Vielfalt?

Die Schwierigkeiten der Polizeibeamten vor Ort bei der Erkennung des Straßentypen mag auch an den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei verkehrsberuhigten Lösungen im Allgemeinen wie auch bei Straßen(abschnitten) liegen, die mit dem rechteckigen, blau-weißen Verkehrszeichen 325 gekennzeichnet sind. Zwar müssen verkehrsberuhigte Bereiche laut Verwaltungsvorschrift der StVO „durch ihre besondere Gestaltung den Eindruck vermitteln, dass die Aufenthaltsfunktion überwiegt und der Fahrzeugverkehr eine untergeordnete Bedeutung hat. In der Regel wird ein niveaugleicher Ausbau für die ganze Straßenbreite erforderlich sein.“ Wo es jedoch Regeln gibt, gibt es Ausnahmen, bei Verkehrsberuhigung besonders viele: Es gibt echte Mischverkehrsflächen, Straßenräume mit optischer oder baulicher Trennung und selbstverständlich alle denkbaren Kombinationen. Diese werden – selten – in Geschäfts- und Erschließungsstraßen, meist in Wohnstraßen eingesetzt. An Empfehlungen für die Gestaltung gibt es seit 2006 die „Richtlinie für die Gestaltung von Stadtstraßen“, eine recht verbindliche Richtlinie, die jedoch alle Straßentypen behandelt und seit 2011 „weichere“ Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen zu Shared Space und barrierefreien Verkehrsanlagen.

Genauere Untersuchungen

Neben der Auswertung der Unfallstatistiken nahm die UDV auch in 278 Straßen mit der Regelung Verkehrsberuhigter Bereich genauere Untersuchungen u.a. mit Videobeobachtungen vor. Insgesamt fanden dort in sechs Kalenderjahren 244 Unfälle mit Personenschäden statt. Jedoch ereigneten sich in zwei von drei dieser Straßen über den Beobachtungszeitraum überhaupt keine Unfälle mit Personenschäden. In den „unfallträchtigen“ Straßen passierten also im Schnitt etwa drei Unfälle, wobei es auch hier definierbare Häufungen gab. Nach der Auswertung kann man für Wohn- und Quartiers­straßen eigentlich Entwarnung geben. Eine eindeutige Häufung gab es jedoch in den wenigen Geschäftsstraßen mit Verkehrszeichen 325: Über die Hälfte aller Unfälle geschahen auf einem Siebtel der gesamten Untersuchungslänge, unabhängig davon ob der Verkehr gemischt oder baulich getrennt wurde. - Nur zur Verdeutlichung: Über die von FUSS e.V. bevorzugte Regelungen „Verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“ für diese Art von Straßen wie auch über echte Begegnungszonen sagt die Studie der UDV nichts aus.

Drei von fünf der Unfälle wurde durch Pkw-Fahrer verursacht, zehn Prozent weniger als sie im Durchschnitt alle innerörtlichen Unfälle verursachen. Radfahrende verursachen mit drei von zehn Unfällen in verkehrsberuhigten Bereichen dagegen mehr als doppelt so häufig Unfälle wie im kommunalen Durchschnitt. Teilweise lässt sich dieser hohe Anteil sicher mit dem in verkehrsberuhigten Bereichen deutlich stärkeren Radverkehr erklären. Wobei Fußgänger/ innen wie im innerörtlichen Schnitt lediglich 3,5 % der Unfälle verursachten.

Schrittgeschwindigkeit kann keiner

Bei den Videobeobachtungen wurden unfall­auf- und unfallunauffällige Bereiche verglichen. Hinsichtlich der Geschwindigkeiten muss gesagt werden, dass sie sowohl bei Kfz wie bei Fahrrädern deutlich über der vorgeschriebenen Schritt­geschwindigkeit liegen. Im Mittel fuhren Kfz 25 km/h, in Wohnstraßen nur geringfügig langsamer. Die Angabe: „Geschwindigkeiten über 35 km/h sind eher selten“ vermag hier nur wenig trösten, wobei Radfahrende „bei allen Messungen nur geringfügig langsamer fuhren als die Autos.“ Das bedeutet natürlich in der Konsequenz mehr Tempoüberwachung in verkehrsberuhigten Bereichen! Gemeinden, die anders investieren wollen, können laut den Ergebnissen der Studie es auch mit recht guten Erfolgsaussichten auf eine Temposenkung mit regelmäßigen und punktuellen geschwindigkeitsreduzierenden Elementen versuchen.

Hinsichtlich der Nutzung der Flächen durch die Verkehrsteilnehmer ändert sich kaum etwas am „klassischen“ Verhalten in normalen Straßen: Selbst bei niveaugleicher Ausführung fahren neun von zehn Pkw in der Fahrbahnmitte. Ähnlich ist es in Straßen dieses Typs auch mit Radfahrer/innen. Bei baulicher Trennung fahren jedoch zwei von fünf der Radler/innen im Seitenbereich: Das „Gehwegradeln“ ist ihnen also selbst in diesen geschützten Bereichen nicht abzugewöhnen. Nur der Fußverkehr neigt etwas mehr zur „Unkonventionalität“ und nutzt auch die Fahrbahnmitte.

Empfehlungen

Da sich Verhaltensunsicherheiten gerade in den Übergangsbereichen zwischen normalem Straßennetz und verkehrsberuhigten Bereichen häufen, empfiehlt die UDV insbesondere dort Maßnahmen, damit die StVO-Regeln „eindeutig und verständlich“ wären. Ansonsten empfiehlt sie die Einrichtung beruhigter Bereiche „bei konsequenter Gestaltung mit geschwindigkeitsreduzierenden Elementen“ auch für Straßen mit bis zu 4.000 Kfz am Tag! Dazu gehöre auch eine Änderung der Verwaltungsvorschriften zum Zeichen 325. Anderenfalls sei abzuwägen, ob „neuartige Beschilderungen notwendig“ werden würden. - Ist das ein vorsichtiges Plädoyer für Begegnungszonen?

Quelle:

Unfallforschung der Versicherer UDV: „Verkehrssicherheit in verkehrsberuhigten Bereichen“, Berlin, 2015. Als gesamter Forschungsbericht, „Unfallforschung kommunal“ oder „Unfallforschung kompakt“ einseh- und herunterladbar unter www.udv.de

 

Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2015, erschienen. 

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