Bauordnungen beziehen sich auf Gebäude und Grundstücke und sie wurden bisher nur sehr selten als Regelwerke angesehen, die auch die Mobilität der Bewohner, Gäste oder Kunden tangieren. Doch sind in den verbindlichen Landesbauordnungen etliche Festlegungen enthalten, die häufig immer noch davon ausgehen, dass Nutzerinnen und Nutzer der Gebäude stets mit dem Auto vorfahren. Um dies zu verändern, hat der FUSS e.V. sechs Vorschläge formuliert und sie der Bauministerkonferenz übermittelt.

Veränderungen sind mühsam

Mitte 2013 bat das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg FUSS e.V. um eine Stellungnahme zum Entwurf des „Gesetzes zur Änderung bauordnungsrechtlicher Vorschriften“. Die Landesregierung wollte mit diesem Schritt eine ökologische und soziale Fortschreibung erreichen, um z.B. den Fahrradverkehr zu stärken und mehr Barrierefreiheit zu erreichen.

Sie hat eine recht breite Verbändeanhörung durchgeführt, weil sie im „Ländle der Häuslebauer“ wohl mit einem starken Gegenwind gerechnet hat. So kam es dann auch, die Baubranche und die Immobilienbesitzerverbände entfachten einen Sturm und sahen den Zusammenbruch des Wohnungsbaus voraus. Die Novellierung sei „unnötig und ideologiegetrieben“ („Haus und Grund“, taz 5.11.2014) - eine Formulierung, die allen bekannt sein dürfte, die sich gegen eine überzogene Autoorientiertheit einsetzen. Auch das war nicht neu: Gleichzeitig beklagten die Gegner genauso wie auch Befürworter der Veränderungen die „Kann-Vorschriften“, weil damit die Auslegungsspielräume der Verwaltungen vor Ort zu groß sind.

In der Zwischenzeit ist einiges Wasser den Neckar entlang geflossen und in der Landeshauptstadt stehen andere Themen zur Diskussion. Um einmal den Erfolg oder Nichterfolg von Lobbyarbeit zu veranschaulichen: Die vier Formulierungen, die wir aus der Vorlage unterstützt hatten (Begrünung §9, Barrierefreier Zugang §35, Abstellflächen für Kinderwagen etc. §35 und Anzahl der Fahrrad-Stellplätze §37), sind nun auch im Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung enthalten und seit März des Jahres in Kraft. Keine der weiteren Vorschläge (z.B. Größe und Ausstattung von Kinderspielplätzen §9, Verkehrssicherheit §16, barrierefreier Gebäudezugang §35, Schutz und Größe von Abstellflächen §35) ist aufgenommen worden. Es gibt also noch einiges zu tun.

Einheitlichkeit wird angestrebt

Die für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der 16 Bundesländer, auch als Bauministerkonferenz oder ARGEBAU bezeichnet, sind Herausgeber einer Musterbauordnung (MBO). Sie gilt als Basis, zur Orientierung und der Vereinheitlichung der unterschiedlichen Landesbauordnungen (LBO), ist jedoch für die Länder nicht verbindlich. Von den Landtagen verabschiedet wurden dadurch unterschiedliche Regelungen, die in verschiedenen Zeitabständen (derzeit 2007 bis 2015) aktualisiert wurden und dabei andere Verpflichtungen wie z.B. die Barrierefreiheit oder die Vorgaben aus dem Nationalen Radverkehrsplan berücksichtigen, oder auch nicht.

Festlegungen sind wichtig

Ziel der Bauordnungen ist es, Gefahren für Leib und Leben abzuwenden, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Qualitätsstandards zu setzen. Deshalb sind sie ein wesentlicher Bestandteil des Baurechts der einzelnen Bundesländer. Sie beziehen sich sowohl auf die Gebäude, als auch auf unbebaute Grundstücke. Die Regelungen gelten für öffentliche wie auch für private Gebäude. Die Bauordnungen enthalten Bestimmungen zur Ausführung von baulichen Anlagen und Anforderungen in technischer und architektonischer Hinsicht. Sie haben Gesetzescharakter.

Zur Aktualisierung der Musterbauordnung hat der FUSS e.V. im September des Jahres versucht, folgende sechs Anliegen in die Diskussion der 127. Bauministerkonferenz einzubringen:

Erreichbarkeit von Gebäuden

In der Musterbauordnung und auch in den Landesbauordnungen gibt es zu diesem Thema für zu Fuß Gehende keine eigenständige Rubrik. Deshalb haben wir um Hinzufügung gebeten:

1.

Zu bewohnten und öffentlich genutzten Gebäuden müssen grundsätzlich zumindest markierte Wege für den Fußverkehr vom öffentlichen Gehweg bis zu den Zu- und Abgängen führen. Diese sind nach den geltenden Regelwerken zu dimensionieren und der Hauptzugang muss barrierefrei erreichbar sein.

Verkehrssicherheit

In der Musterbauordnung ist geregelt, dass bauliche Anlagen sowie Flächen, die dem Verkehr dienen, verkehrssicher sein müssen und die Sicherheit sowie die Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs nicht gefährdet werden darf. Deshalb ist bei der Weiterentwicklung der Bauordnungen in Anlehnung an die geltende Straßenverkehrs-Ordnung einzufügen:

2.

Auf allen öffentlich genutzten Flächen geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs vor. Dabei ist, wie es die Straßenverkehrs-Ordnung StVO vorsieht, auf Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen besondere Rücksicht zu nehmen.

3.

Wenn Fußwege Fahrstreifenkreuzen, ist dem Fußverkehr grundsätzlich Vorrang einzuräumen. Dies kann durch Zusatzzeichen in den Eingangsbereichen und z.B. durch markierte Fußgängerüberwege, andere Markierungen (z.B. Längsstreifen in Gehrichtung) oder weitere Maßnahmen (z.B. Blumenrabatten, etc.) erfolgen.

Stellplätze für Verkehrsmittel

Die Musterbauordnung geht derzeit mit keinem Wort auf den demografisch ansteigenden Bedarf an Abstellflächen für Geh-Hilfsmittel ein. Das ist nicht praxisnah, weil sich mobilitätseingeschränkte Menschen häufig nicht aus eigener Kraft durch häufig kreuz und quer abgestellte Fahrräder und Fahrradanhänger hindurch bewegen können. Es sind also zumindest abmarkierte Flächen notwendig, die barrierefrei erreichbar sein müssen. Im Gegensatz zur Musterbauordnung verlangt zum Beispiel die Landesbauordnung Berlin gut zugängliche Rollstuhlstellplätze. Die Bauordnung Baden- Württembergs sieht vor, dass in Gebäuden ab zwei Wohnungen leicht erreichbare Flächen zum Abstellen von Gehhilfen und Kinderwagen zur Verfügung stehen müssen. Auch die Bauordnung von Brandenburg legt fest, dass Wohngebäude über leicht erreichbare und gut zugängliche Abstellräume für Kinderwagen, Rollstühle und Fahrräder verfügen. Wir halten folgende Konkretisierung für sinnvoll:

4.

In Wohnhäusern ist pro Wohnungseinheit mindestens eine gesondert ausgewiesene, barrierefrei erreichbare und wettergeschützte Abstellfläche zu schaffen, die für Kinderwagen und Gehhilfen geeignet ist. Sie ist nach den aktuellen DIN-Vorschriften und Regelwerken auszubilden.

Freiflächenbegrünung

Die Musterbauordnung beinhaltet, dass nicht überbaute Flächen wasseraufnahmefähig gestaltet, sowie begrünt und bepflanzt werden sollen, sofern für diese Flächen keine andere zulässige Verwendung gedacht ist. Auch hier wünschen wir uns eine Konkretisierung, z.B.:

5.

Mindestens ein Drittel der nichtüberbauten Flächen von bebauten Grundstücken sind zu begrünen, wobei wiederum mindestens ein Drittel dieser Fläche möglichst abwechslungsreich zu bepflanzen ist, während der Rest eine Rasenfläche sein kann.

Spielplätze

In der Musterbauordnung ist festgelegt, dass Kinderspielplätze geschaffen werden müssen, wenn sich z.B. kein öffentlicher Spielplatz in unmittelbarer Umgebung befindet. Diese Formulierung ist uns seit Jahren ein Dorn im Auge. Mittlerweile haben einige Bundesländer konkrete Werte aufgenommen, wie z.B. ein Spielplatz für drei Wohnungen (Bremen) oder 4 Quadratmeter pro Wohnung (Berlin). Wir gehen weiter mit einer traditionellen Forderung (seit 1974, Bürgerinitiative Westtangente):

6.

Für jede Wohneinheit ist für Kinder und Jugendliche eine Spiel-, Bewegungs- und Aktionsfläche vergleichbar eines Kfz-Stellplatzes vorzusehen (mindestens 8 Quadratmeter), die barrierefrei erreichbar sein muss. Bei beengten Verhältnissen muss die Anzahl der Kfz-Stellplätze verringert werden.

Fazit

Die ökologische und soziale Fortschreibung bauordnungsrechtlicher Vorschriften ging nicht von der bundesweiten Musterbauordnung aus, sondern von Aktualisierungen der Landesbauordnungen. Deshalb muss auch in Zukunft auf Landesebene mitgewirkt werden, sobald Änderungen geplant sind. Nur so kann sich allmählich die Erkenntnis durchsetzen, dass die meisten Menschen Gebäude sicher und komfortabel zu Fuß betreten möchten. - Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Festlegungen, die überdacht werden sollten. Wir wollen mit diesen Ausführungen die gewünschten Änderungen erst einmal überschaubar halten.

In Kürze

Der FUSS e.V. hat sechs Kernbotschaften für Änderungen der Musterbauordnung und der Landesbauordnungen formuliert, die darauf Bezug nehmen, dass Menschen Gebäude als Fußgängerinnen und Fußgänger betreten und sie diese sicher und möglichst komfortabel zu Fuß sowie in zunehmendem Maße auch mit Gehhilfen erreichen müssen.

Quellen:

Weiterführende Informationen über die Bedeutung, die Zuständigkeiten und Kriterien in der Musterbauordnung und in den Landesbauordnungen sowie genaue Quellenangaben finden Sie auf www.geh-recht.de, aktuelle Angaben über die beschlossenen Landesbauordnungen unter www.geh-recht.de > Literatur-Register > Bauordnungen.

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2014, erschienen. 

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