So viele Reaktionen wie auf den Titelbeitrag des letzten Heftes mit den provokanten Fragen „Kämpft hier eine kleine Minderheit für ihre privaten Vorteile? Oder ist die Mehrheit einfach zu doof?“ hatten wir noch nie erhalten. - Im Folgenden versuchen wir eine Zusammenfassung der Reaktionen.

Wer ist Elite?

Insbesondere die erste Frage erachtete ein Leser für grundsätzlich falsch: „Kämpft hier eine kleine Minderheit für ihre privaten Vorteile? Selbst wenn, so wäre dann doch die Frage: darf die Mehrheit eine Minderheit zwingen, sich selbst und andere mehr als nötig zu gefährden?“ Eine entsprechend naheliegende Frage fiel einem anderen Leser auf: „Es wäre noch zu definieren, wen man als Avantgarde bezeichnen möchte: Das kann der Wochenend-Renn­radler sein, der 'Ramsauer Rüpel-Radler' oder der Alltags-Radfahrer, der je nach Situation das passende Gefährt vom Faltrad bis zum Velomobil nutzt.“ Aber auch: „Sie skizzieren einen Gegensatz zwischen einer 'Elite' und der Mehrheit. Die genannten Umfragewerte führen aus meiner Sicht in die Irre. Nach Jahrzehntelangem 'Fahrbahnverbot' und nun schon 18 Jahre dauernder schleichender Aufhebung des Verbots sind die Menschen auf Radwege konditioniert. Was soll bei solchen Umfragen anderes herauskommen? Veränderungen zum Besseren sollten generell möglich sein, wenn es gute Gründe dafür gibt. Die Einführung von Gurtpflicht oder Mülltrennung wurden auch nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht.“

Eine etwas andere Sicht zu 'Masse und Elite' hinsichtlich der Benutzung von Radwegen wurde hier geäußert: „Im Grunde könnte es mir ja egal sein, wie sich die anderen Radfahrer in dieser Hinsicht verhalten, doch ist auf diese Weise die Stadt Köln in der bequemen Situation, das Thema einfach aussitzen zu können. Und so fehlt bei PKW- und LKW-Lenkern weiterhin das Bewusstsein dafür, dass das Radfahren auf der Fahrbahn erlaubt wäre. Und das führt dann dazu, dass ich ständig damit rechnen muss, von Autofahrern beschimpft oder gar bewusst geschnitten und gefährdet zu werden. Somit verdirbt mir diese träge Masse der Radfahrer indirekt die Lust am Radfahren in Köln.“

Warum wird Minderwertiges akzeptiert?

Zu kurz gesprungen ist der Beitrag meint ein anderer Leser: „Der einführende Beitrag betrachtet naturgemäß nur einen Teil der Aspekte. Und selbst hier findet sich autozentriertes Denken, wenn nämlich nur Überholvorgänge von Kfz erwähnt werden. Dabei ist gerade der Radverkehr durch ein breites Geschwindigkeits­spektrum gekennzeichnet. Überholvorgänge von Radfahrern untereinander sind daher eher die Regel als die Ausnahme. Eine Radverkehrsinfrastruktur muss dem Rechnung tragen. Welche Radwege und -streifen lassen aber unproblematisches Überholen tatsächlich zu? [.] Die Frage ist also, wieso dieses minderwertige Angebot so unwidersprochen akzeptiert wird.“

Eine Frage, die der Beitrag nicht beantwortet hatte, woran sich aber drei Leser versuchten: „Seit Jahrzehnten wurde und wird vielfach heute noch behauptet, das Fahrradfahren auf der Fahrbahn sei viel zu gefährlich. Schon im Verkehrsunterricht in der Schule wurde das verbreitet und zog sich dann durchs ganze Leben. Solch eine Gehirnwäsche wird man so schnell nicht los, auch wenn die Wissenschaft schon lange das Gegenteil festgestellt hat.“ „Die Masse der Radfahrer sind auch Autofahrer. Wenn sie sich dann mit ihrem halben Wohnzimmer durch den Verkehr bewegen fühlen sie sich von Radfahrern auf der Fahrbahn behindert ohne zu bemerken, dass die Behinderung durch ihr eigenes überdimensioniertes Gefährt verursacht wird (einen Fußgänger mit umgehängtem 4m x 2m großem Rahmen würde man wohl recht schnell in die geschlossene Psychiatrie einweisen). Entsprechend verhalten sie sich wenn sie auf dem Fahrrad sitzen dem Autoverkehr gegenüber unterwürfig.“

„Ich finde es schade, dass diese Debatte immer wieder neu und grundsätzlich geführt wird, statt einfach erfolgreiche 'Best Practices' zu übernehmen und umzusetzen – respektive von den zuständigen Behörden zu fordern. Diejenigen aus Kopenhagen sind zum Beispiel international anerkannt. Immer wieder von vorne zu debattieren, was denn an welchem Ort die optimale Lösung ist, führt niemanden weiter und kostet nur viel Energie, die anderweitig besser in die Förderung des Radverkehrs investiert wäre.“

„Warum gibt es diese gravierenden Diskrepanzen zwischen objektiver und subjektiver Sicherheit? Ich habe mir dieses fehlleitende subjektive Sicherheitsgefühl auf Radverkehrsanlagen abtrainiert. Warum wollen das andere nicht? Wie kann man das subjektive Sicherheitsgefühl mit dem objektiven in Einklang bringen?“

Praktische Erfahrungen

„Da es im Rhein-/Ruhr-Raum, anders als z.B. in Berlin und Hamburg, häufig recht knappe Fahrbahnprofile gibt, ist der Wunsch nach einem Netz von Radwegen hier illusorisch, weil es keine ausreichenden Flächen für regelgerechte Radwege gibt. [.] Aus meiner Sicht dürfte nur für regelkonforme Radwege, die dann regelmäßig unterhalten und im Winter schnee- und eisfrei gehalten werden müssten, eine Benutzungspflicht gelten.“

Zu den konkreten Vorschlägen...

wurde wenig geäußert, daher hier in aller Kürze: „Dass Radfahrstreifen oft zum Parken oder Halten missbraucht werden, ist etwas nervig, aber weniger problematisch, als wenn die Bordsteinradwege zugeparkt werden und man dann eigentlich absteigen müsste... Von Protected Bike lines oder 'geschützten Radfahrstreifen' halte ich nicht viel. Sie würden bei schmalen Radfahrstreifen das Überholen verhindern. Und die Radfahrer vielleicht wieder mehr träumend durch die Gegend fahren lassen. Im Ausland werden sie auch oft viel zu schmal und als Beidrichtungsradweg angelegt. Das geht ja gar nicht. Viel wichtiger wären Radfahrstreifen in Breiten von 2,50 bis 3,25 pro Richtung!! Breit genug zum Überholen, nebeneinander fahren, Lastenrad oder Anhänger fahren, Kinder begleiten. Dann kann man leicht Abstand zu den parkenden Autos halten.“

Lösungsansätze informell

Wissen ist Macht auf freiwilliger Basis: „Mehr würde wahrscheinlich eine Informationskampagne des Staates bringen, die alle Verkehrsteilnehmer auf ihre Pflichten hinweist. Eine Wiederaufnahme des 7. Sinns, der Fernseh-Inforeihe aus den 70er Jahren, wäre eine Möglichkeit, die nicht zu viel kostet.“

Wissen ist Macht mit Schulbankdrücken: „Hauptproblem ist jedoch, dass die meisten Menschen – wenn überhaupt – nur ein rudimentäres Wissen über die als Fahrradfahrer zu beachtenden Verkehrsregeln aus ihrer Grundschulzeit besitzen. Sinnvoll wäre eine verbindliche Fahrradfahrerlaubnis-Prüfung, in der die Kenntnisse der StVO abgefragt werden (ggf. nach jeder StVO-Änderung neu!). Wird diese obligatorisch im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen oder Schmerzensgeld bei Fahrradunfällen, müsste eigentlich jede Person, die ein Fahrrad fahren möchte, selbst daran interessiert sein, diese Prüfung abzulegen. Eine solche Prüfung könnte bereits im Rahmen der Schulzeit erworben oder auch später in einer Fahrschule nachgeholt werden.“

Vorenthalten von Informationen und Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen sind Mobbing: „Das Vorenthalten von Informationen ist deutlich daran zu erkennen, dass der größte Teil der Bevölkerung noch nichts von der StVO-Novelle 1997 gehört hat. Demzufolge werden Menschen in dem Glauben gelassen, dass alles was irgendwie wie Radweg aussieht, auch benutzt werden muss. Was sind die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen? Z.B. werden auf Gehwegen, mit Schild 'Radfahrer frei'-Separationslinien und Fahrradsymbole aufgemalt, die mangels Wissen und teils unter Anwendung von Gewalt 'natürlich' zu benutzen sind.“ - „Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) kann keinen Radweg nennen, auf dem das Fahren nachweislich sicherer ist als das Fahren auf der begleitenden Fahrbahn. Demnach ist es rechtlich unmöglich, eine Radwegebenutzungspflicht anzuordnen.“ (Drucksache des Bundestages 16/15317, Frage 121)

Fast alle Beiträge, die Lösungsansätze anboten, sprachen sich für flächendeckend Tempo 30 in den Kommunen aus.

Lösungsansätze klassisch

Weiter wie bisher: „Es muss erlaubt sein, dass sich der Radfahrende je nach Situation oder Sicherheitsempfinden seinen Weg aussuchen kann: Wer sich auf der Fahrbahn unsicher fühlt, sollte auf Radwegen oder freigegebenen Gehwegen fahren dürfen. Wer sich auf Radwegen oder kombinierten Fuß-/Radwegen behindert fühlt, darf ohne Wenn und Aber die Fahrbahn benutzen.“ Ein anderer Leser fordert zielgruppengerechte Informationen für je Rad- und Autofahrer, Behörden und Politik, ein weiterer meint: „Das Radfahren auf dem Gehweg bzw. gemeinsamen Geh- und Radwegen wurde über Jahre entwickelt. Auf kurzen Abschnitten Radfahrer auf die Straße zu nehmen, ist nicht sinnvoll, es müssen Achsen gebildet werden.“

Kollateralschäden

„Die Diskussion über die Radwegepflicht geht vollkommen an den Tatsachen in den Städten vorbei. Die Radfahrer benutzen die Fußwege (!) und werden von den Stadtverwaltungen und der Polizei daran nicht gehindert, so dass allmählich die Fußgänger sich dafür entschuldigen, die Radfahrer auf den Fußwegen, auch den Parkwegen behindert zu haben. Unter dieser Duldung durch die Behörden verlieren die Radfahrer auf den Fußwegen jedes Unrechtsbewusstsein. Die Organisationen der Fußgänger sollten sich lieber auf diesen Missstand konzentrieren und insbesondere gegen die Stadtverwaltungen rechtlich und politisch vorgehen – durch Beschwerden bei der Kommunalaufsicht, durch Förderung von Amtshaftungsprozessen wegen der Unfälle auf den Fußwegen, die bei Fortsetzung dieser Duldungspolitik unvermeidlich sind, durch politische Interventionen. In Frankfurt am Main zum Beispiel ermuntert das städtische Verkehrsamt in einer Publikation die Fußgänger und Radfahrer zu gegenseitiger Rücksichtnahme auf den Fußwegen, so ist leider die Lage.“

Trennung von der Separation?

Nein: „ Die Avantgarde der urbanen Mobilität, das sind Städte wie Kopenhagen, Groningen, jetzt auch Oslo, London rückt nach. Diese Avantgarde, the cities that rock the urban traffic world, setzt nicht auf Mischverkehr. Sie setzt mit immensen Erfolg auf getrennte und voreinander geschützte Verkehre. Sie treibt dadurch die Gleichberechtigung der verschiedenen Verkehre voran, sie versucht erwünschte, stadtverträgliche Verkehre aus ihrem Schattendasein zu holen.“ „Zu den wirklichen Fahrradstädten zählen Kopenhagen, Amsterdam und mit Abstrichen auch Münster. Dort ist das Fahrrad ein völlig alltägliches Verkehrsmittel für die Mehrheit. Eines haben diese Städte gemeinsam: ein dichtes Netz von baulich getrennten Radwegen. Ich bin davon überzeugt, dass man selbst mit den besten Radfahrstreifen höchstens einen mittelmäßigen Radverkehrsanteil von vielleicht 15 Prozent erreichen kann. 20, 30 oder 40 Prozent wie in den Niederlanden und Dänemark üblich, sind nur mit separaten Radwegen möglich. Die Menschen wollen nicht dicht an dicht mit Lärm-, Abgas- und Gefahrenquellen radeln. Anstatt Radwege zu verteufeln, sollte man sie sanieren und sicherer gestalten.“

„Es ist kein Zufall, dass Deutschland eines der letzten entwickelten Länder ist, in dem Mischverkehrsapologeten auch von eigentlich verkehrlich gebildeten und aufgeklärten Leuten, als Avantgarde gelten. Deutschland ist der Welt bedeutendster Kfz-Industriestandort. Im Artikel wird zweimal unter Quellenangabe als '(Hrsg.)' die GDV genannt. Dahinter versteckt sich die UDV. Wir haben es mit einer für Deutschland typischen Schachtelorganisation zu tun. Die 'Forschung' der UDV wird lt. Wikipedia zu 100% von den Kfz-Versicherern finanziert. Deren Geschäftsmodell ist die Kfz-Pflichtversicherung. Je höher der Kfz-Anteil, je besser das Geschäft. Die UDV ist größter Drittmittelgeber in der Verkehrssicherheitsforschung und mit vielen eigenen Studien am Start. Sie ist größter Lieferant des 'wissenschaftlichen' Argumentgebäudes der 'Avantgarde', demzufolge der Mischverkehr so viele angebliche Vorteile hat. Damit ist dieses Unikum der deutschen 'avantgardistischen' Radverkehrspolitik, die zum Rest der Welt völlig unterschiedlichen, allein in Deutschland gültigen, 'wissenschaftlichen Erkenntnisse' am besten erklärt. Mischverkehr schreckt vom Radfahren ab. Die Radler'avantgarde' verteidigt das Infrastrukturmonopol der Kfz-Industrie. Das ist Deutschland. Leidtragende sind Fuß- und Radverkehr.“

Ja: „Die in den Köpfen der Planer, Politiker und allgemein der Gesellschaft immer noch anzutreffende Doktrin des Separationsprinzips der Verkehrsarten ist in Frage zu stellen. In unserem überregulierten (Verkehrs-) Rechtssystem ist das natürlich ein dickes Brett, was zu bohren ist. Paradigmenwechsel dauern lange sind aber billiger als teure Radwegeprojekte, für die sowieso kein Geld da ist.“ „... obwohl man offenkundig ganz genau um die Probleme weiß. Da wird einem Separation in allen Formen und Farben angedreht, aber das eigentliche Problem, dass Geradeausverkehr eben nicht rechts vom Rechtsabbieger fahren sollte (womit sich Separation von selbst verbietet), wird zwar erkannt aber nicht weiter beachtet.“

„Ich bin auch gegen die Anlage von Radverkehrsanlagen. Denn diese fördern die Separation, damit schaffen sie Territorien und diese Territorien werden 'verteidigt' – neben dem Problem der Ressourcenverschwendung und Versiegelung. Diese Revierverteidigung ist eben besonders unangenehm, da, wie im Artikel angesprochen, ungenügende Breiten durch mangelhafte planerische Vorgaben dazu führen das mit der Begründung 'da ist deine Fahrspur' Sicherheitsabstände deutlich unterschritten werden. Deshalb bin ich generell gegen Separation des Fahrverkehrs und für Shared Space in den hochbelasteten Innenstadtbereichen.“

Die Redaktion dankt Bert Ungerer, Holger Müller, Ralph Sontag, F. Blume, Daniel Pöhler, Michael Hänsch, Hartmut Koch, Klaus Müller, Reinhard Zwirner, Ralph Wössner, Stephan Fischer, Reiner Geisen, Gabriele Köpke, Günther Reimers, Martin Wohlauer, Moritz Sievers, Kirsten Kock, Klaus-Christian van den Kerkhoff, Axel Flessner, Gerd Jund, Ervin Peters und den Anderen, aus deren Schreiben wir aus Platzgründen hier nicht zitieren können.

In Kürze

In dem Beitrag wird diskutiert, welche Radler/ innengruppe Elite bzw. Besserwisser sind hinsichtlich der Fragen Radwegebenutzung, Akzeptanz derzeitiger Lösungen und Separation.

Literatur:

Lieb, Stefan: Besserwisser vs. Mehrheit, mobilogisch 4/15, Seite 28 ff.

 

Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2016, erschienen. 

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