Pro Preissystem der Bahn

Auslastungssteuerung Teil eines zukunftsfähigen Preissystems im Fernverkehr

In der letzten Ausgabe der mobilogisch stellte Bernhard Knierim an dieser Stelle seine Kritik am DB-Preissystem dar. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm die Auslastungssteuerung, die in unterschiedlichen Fahrpreisen für eine Strecke mündet. Auch ich wünsche mir eine bezahlbare Bahn, die von möglichst vielen Menschen genutzt wird - aus ökologischen wie sozialen Gründen. Steht diesem Ziel aber eine marktorientierte und nachfragebasierte Preisbildung entgegen? Ich meine jein.

Schwankende Fahrpreise: Nervig aber sinnvoll

Eigentlich wäre es für mich in Ordnung, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse und Komfortansprüche der Fahrgäste sowie die extrem schwankende Nachfrage im Verkehr in unterschiedliche Fahrpreise münden. Warum sollen preissensible Kund_innen kampflos Fernbus und Flugzeug überlassen werden und umgekehrt durch ein insgesamt niedrigeres Preisniveau Einnahmen von Geschäftsreisenden und Gutverdienern verschenkt werden? Zudem sind nachfrageabhängig schwankende Preise im Flug- und Fernbusverkehr akzeptiert. Es gibt nur eine wichtige Voraussetzung: Marktmechanismen und -preise müssen bei allen Verkehrsträgern gelten. Sobald es eine flächendeckende, nachfrageabhängige Bepreisung von Park­raum und Straßen gibt und im Flugverkehr Steuern auf Kerosin und Tickets gezahlt werden, sehe ich keine Notwendigkeit auf ein Preissystem mit Steuerungseffekt im Bahnverkehr zu verzichten.

Auslastungssteuerung ist Umweltschutz

Insbesondere auf Straße und Schiene ist die Auslastung der vorhandenen Infrastruktur extrem unterschiedlich. An wenigen Stunden am Tag kann die Nachfrage kaum bewältigt werden, die restlichen etwa 80-90 Prozent der Zeit sind die vorhandenen Verkehrsanlagen nicht vollständig ausgelastet. Was liegt da näher als Anreize zu setzen, Fahrten zeitlich zu verschieben oder auf Strecken zu lenken, die geringer ausgelastet sind? Angesichts allörtlicher Forderungen nach dem Ausbau von Straßen und Schienenstrecken könnte die konsequente Anwendung von Marktmechanismen Ausbaumaß­nahmen unnötig machen. Das wäre nicht nur volkswirtschaftlich mit Blick auf den hohen Unterhaltungsbedarf des bestehenden Netzes ein wichtiger Schritt sondern auch ökologisch, um eine weitere Betonierung und Verlärmung zu vermeiden.

Richtig ist, dass die Anzahl der Fahrgäste im Schienenfernverkehr in den letzten Jahren nicht wesentlich zugenommen hat. Angesicht von Fahrgastverlagerungen auf den Nahverkehr und einer steigenden Steuerlast ergibt sich für mich daraus aber kein Rückschluss, dass eine Auslastungssteuerung generell ungeeignet ist. Ebenso wenig die Tatsache, dass sich zweifellos nur ein Teil des Verkehrsaufkommens in nachfrageschwachere Zeiten verlagern lässt.

BahnCard-Rabatt: Schweiz kein Vorbild

Als Positivbeispiel verweist Bernhard Knierim auf die BahnCard50 und das schweizerische Halbtaxabo, die Inhabern einen im Vergleich zu anderen Branchen ungewöhnlich hohen Rabatt von 50 Prozent gewähren. Im Umkehrschluss erzwingt die massenhafte Ausgabe rabattierter Fahrkarten hohe Normalpreise, um Einnahmen zu erzielen. Die hohen Normalpreise werden aber nur von 10 Prozent der Fahrgäste gezahlt, prägen aber das Bild vom teuren Bahnverkehr maßgeblich. Wie viele Fahrgäste werden so Tag für Tag abgeschreckt? Zudem steht die Bahn in Deutschland viel stärker als in der Schweiz im Wettbewerb mit dem Flug- und Fernbusverkehr. Das Preissystem sollte entsprechend darauf reagieren, auch wenn dies das Ende der BahnCard50 mit hohem Rabatt bei voller Flexibilität bedeutet.

Fahrpreis allein nicht entscheidend

Beim Ruf nach einem niedrigen Preisniveau ist allerdings wichtig zu bedenken, dass - solange die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Verkehrsträgern andauert - die Bahn preislich nicht mithalten kann. Laut www.fernbusse.de kostet die Fahrt im Fernbus 5,7 Cent je Kilometer. Im Schienenfernverkehr liegt der Kilometerpreis ohne Ermäßigung je nach Entfernung und Relation bei etwa 30 Cent (wobei DB-Fernverkehr gerade mal elf Cent pro Kilometer einnimmt). Laut ADAC liegen die Kosten pro Kilometer im Pkw zwischen 30 und 60 Cent, also sogar über dem Normalpreis und deutlich über den durchschnittlich von Reisenden tatsächlichen bezahlten Kilometerpreis. Allerdings haben die meisten (potentiellen) Bahnkunden ein Auto zur Verfügung und werden alleine deshalb auch in Zukunft nicht Vollkosten als Vergleichsgrundlage nehmen. Zweifellos ist ein Preissystem, bei dem die tatsächlichen Einnahmen nur 1/3 des regulären Preises betragen, alleine schon aus Imagegründen überarbeitungsbedürftig. Dennoch wird es nur über den Fahrpreis nicht gelingen, nennenswerte Marktanteile für die Schiene zu gewinnen. Wichtig ist deshalb ein Blick auf die Wettbewerbsvor- und -nachteile:

Zu den (nicht ausgeschöpften) Systemvorteilen gehören verlässliche und weitgehende witterungsunabhängige Ankunftszeiten, ein höherer Fahrkomfort und die Möglichkeit die Fahrzeit zu nutzen. Mit besseren Anschlüssen (integrale Taktknoten) könnten auch vielen Relationen wettbewerbsfähige Fahrzeiten angeboten werden.

Verpasst wurde leider die Ausstattung der Fahrzeugflotte kontinuierlich den Ansprüchen anzupassen (Klimaanlage, Steckdosen, Wi-Fi) oder Vorteilen der Konkurrenz wie der Sitzplatzgarantie im Auto, Bus und Flugzeug durch kostenlose oder wenigstens sehr günstige Online-Buchungen entgegen zu treten. Ein weiterer Pluspunkt könnte eine großzügige Kundengarantie (Vorbild 10-Minuten-Garantie in Verkehrsverbünden) als Bekenntnis zur Bedeutung pünktlicher Ankunftszeiten und Abgrenzung zur Konkurrenz sein.

Den richtigen Weg eingeschlagen hat die DB mit Kooperationen und Rabatten bei Car- und Bikesharern. Denn: Wer kein eigenes Auto hat, muss auch nicht bei jeder Fahrt durch Schnäppchenangebote gelockt werden. Unerlässlich ist zudem ein umfassendes Bonusprogramm, das ökonomische Vorteile und emotionale Elemente vereint. Hier besteht bei der Deutschen Bahn, die Bahn-Stammkunden allen Ernstes Fluggutscheine offeriert, sicher noch Verbesserungsbedarf.

Flächendeckender Fernverkehr nur durch politische Initiative

Wichtig finde ich, zwischen der Deutschen Bahn AG und der politischen Verantwortlichkeit zu trennen. Auch ich wünsche mir häufige, umsteigefreie, schnelle und komfortable Verbindungen in ganz Deutschland, zu bezahlbaren Preisen. Das ist aber nicht Aufgabe einer Bahn Aktiengesellschaft sondern dafür brauchen wir ein Fernverkehrsgesetz, das Bedienstandards definiert und die öffentliche Finanzierung sicherstellt.

Maximilian Meyer

Contra Preissystem der Bahn

Auslastungssteuerung oder Flexibilität?

Die Bahn wünscht sich eine konstante, hohe Auslastung ihrer Züge – ein durchaus nachvollziehbares Anliegen, wenn er denn nicht mit hohen Kollateralschäden verbunden wäre. „Auslastungssteuerung ist Umweltschutz“ – hinter diese Aussage möchte ich ein großes Fragezeichen setzen.

Konkurrent der Bahn

Immer wieder wird das Flugzeug – wo eine Aus­lastungssteuerung mit variablen Preisen völlig normal ist – als Hauptkonkurrent der Bahn wahrgenommen, neu dazu kommen nun die Fernbusse – auch diese mit schwankenden Preisen je nach Auslastung. Tatsächlich ist aber mit weitem Abstand nach wie vor das Auto der eigentliche Konkurrent des öffentlichen Verkehrs; über 80 Prozent der Personenverkehrsleistung bleiben motorisierter Individualverkehr. Die meisten potenziellen Fahrgäste entscheiden also nicht zwischen Bahnfahren und Fliegen bzw. Fernbus, sondern zwischen Bahnfahren und Auto. Was macht die nach wie vor enorme Attraktivität des Autos aus? Neben der eigenen Privatsphäre und unkomplizierter Gepäckmitnahme ist es zuallererst die Flexibilität: Der Autofahrer kann jederzeit reisen, wenn ihm danach ist, und er zahlt dafür immer den gleichen Preis. Dieser ist dazu noch relativ gering, nachdem die Entscheidung für die Anschaffung des Autos nebst Kfz-Steuern einmal gefallen ist. Tatsächlich fallen für die Fahrt dann lediglich Sprit- und Verschleiß-Kosten an, wobei letztere oft sogar in der eigenen Über-den-Daumen-Rechnung unterschlagen werden.

Dass diese Kosten des Autofahrens deutlich zu gering sind und viele externe Kosten ausblenden, ist vielfach nachgewiesen und muss poli­tisch schleunigst geändert werden. Die Frage hier ist jedoch, wie die Bahn dagegen ankämpfen kann. Sie kann es kaum, wenn eine Festlegung auf einen bestimmten Zug schon Monate im Voraus notwendig ist, um zu einem Preis reisen zu können, der auch nur annähernd konkurrenzfähig zum Auto ist.

Die Antwort der Bahn: BahnCard

Diese Analyse war die nach wie vor völlig richtige Grundidee der BahnCard: Auch die Bahn-Vielfahrer sollten analog zur Anschaffung eines Autos einmal jährlich vorab zahlen, um dann jederzeit vergleichsweise günstig – zum halben Preis – reisen zu können. Die Logik, warum eine solche BahnCard hohe Normalpreise erzwinge, erschließt sich mir dabei nicht. Sie wurde eingeführt, ohne dass es einen nennenswerten Aufschlag auf die Normalpreise gegeben hätte.

Der Reiz dieses Angebots aus Sicht der Bahn sollte gerade darin liegen, dass sie damit Dauerkundschaft an sich bindet – die dafür ja auch einen mit inzwischen 255 Euro sehr erheblichen Beitrag zahlt. Dass dieser alleine in den letzten zwölf Jahren fast verdoppelte Preis inzwischen deutlich zu hoch ist, zeigt der immer weiter voranschreitende Umtausch von BahnCard 50 gegen die viermal günstigere BahnCard 25: Viele lassen sich doch von der Hoffnung auf all die Schnäppchen leiten, die es wiederum nur mit der BahnCard 25, nicht aber mit der BahnCard 50 gibt, und geben dafür die Flexibilität auf. Kein Wunder, dass all diese Menschen dann von Fahrt zu Fahrt immer neu entscheiden, ob gerade Bahn, Fernbus, Flugzeug oder doch das Auto die günstigere Option ist. Völlig zu Recht wird die BahnCard 25 vor allem „für Einsteiger“ und nicht für Dauerkunden beworben, sie ist eben bei weitem keine solche Kundenbindung wie die BahnCard 50 mit verlässlichem Rabatt zu jeder Zeit.

Einheitliches Preissystem

Und noch an einem zweiten Punkt ist das Auto dem öffentlichen Verkehr in punkto Flexibilität nach wie vor weit überlegen: Dem Autofahrer kann es völlig egal sein, in welchem Bundesland er fährt und um was für eine Straße es sich handelt: Es gelten immer die gleichen Regeln. Nicht so im öffentlichen Verkehr: Hier muss sich die Kundschaft mit unterschiedlichen Tarifsystemen und Bedingungen auseinandersetzen, teilweise sogar mehrere Tickets kaufen – und vieles davon wissen nur die eingefleischten Bahn-Freaks. Ob und welchen Rabatt die BahnCard im Nahverkehr bewirkt, ist z.B. je nach Region völlig unterschiedlich. Hier ist die Schweiz eben doch ein Vorbild: Ein einheitliches und überschaubares Tarifsystem für den öffentlichen Verkehr im ganzen Land ohne einen Wust an unüberschaubaren Sonderangeboten, davon sind wir weit entfernt – und von den daraus resultierenden Nut­zerzahlen in der Schweiz erst recht.

Die Kosten leerer Plätze

Aber ist die gleichmäßigere Auslastung der Züge diese Kollateralschäden vielleicht doch wert, wie Maximilian Meyer schreibt? Die entscheidende Frage dabei ist, ob es wirklich so schlimm ist, wenn Sitzplätze im Zug zeitweise ohne Fahrgäste rollen. Hier gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Bahn und Luftverkehr: Leere Plätze in Zügen lassen sich zuerst einmal nie vermeiden, weil Züge nicht nur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen darstellen, sondern immer viele Orte verbinden – mit der Folge, dass sie nicht auf der ganzen Strecke von Anfang bis Ende gleichmäßig ausgelastet sein können. Die leeren Plätze kosten bei der Bahn aber sehr viel weniger als beim Flugzeug, und sie sind auch nicht sonderlich umweltschädlich: Ein zusätzlicher Wagen macht aufgrund des geringen Roll- und Luftwiderstandes keinen so viel höheren Energieaufwand aus. Dies ist übrigens auch ein Argument für lokgebundene statt Triebwagenzügen, denn hier sind die Kosten pro Sitzplatz nur etwa halb so hoch. Dazu kommt die etwas aus der Mode gekommene Möglichkeit, Wagen je nach Bedarf flexibel an- und abzukoppeln. So muss man nicht die Kundschaft am Zug ausrichten, sondern viel eleganter und kundenfreundlicher geht es umgekehrt.

Auch hier verfolgt die Schweiz eine ganz andere Strategie: Die SBB-Züge fahren beständig in dichtem Takt, auch wenn nicht alle zu jeder Zeit stark nachgefragt sind. Dafür wissen die Fahrgäste, dass sie sich immer auf die Bahn verlassen und zu jeder Zeit flexibel reisen können – und dies immer mit einem Sitzplatz. Reservierungen werden kaum gemacht, da sie schlichtweg nicht notwendig sind. Dieses gute Angebot führt insgesamt zu einer sehr guten Nutzung der Bahn und relativiert die Kosten der leeren Plätze damit erheblich, von dem Umweltvorteil durch die viel stärkere Nutzung der Bahn (Markt­anteil in der Schweiz 25% gegen über 8% bei uns) statt anderer Verkehrsmittel ganz abgesehen.

Bei der Frage der weiteren Systemvorteile der Bahn stimme ich Maximilian Meyer vollstens zu: Es geht nicht nur um den Preis, sondern die Bahn sollte in vielen anderen Bereichen deutlich besser werden und damit dann auch offensiv werben: zuallererst Verlässlichkeit und Reisekomfort – wo sie in den letzten Jahren leider nicht geglänzt hat. Aber die Flexibilität, also die Möglichkeit, zu beliebigen Tages- und auch Nachtzeiten (Stichwort: Nachtzüge)reisen zu können, sollte die Bahn auf keinen Fall aufgeben, denn dies ist ihr größter Trumpf, der sie dem Auto ebenbürtig und Flugzeug und Fernbus überlegen macht.

Bernhard Knierim

Hinweis:

Beide Autoren beziehen sich auf den Beitrag von Bernhard Knierim „Das Preissystem der Bahn: unübersichtlich“, in der mobilogisch! 1/15, Seite 47 ff

 

Die beiden Artikel von Maximilian Meyer und Bernhard Knierimsind in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2015, erschienen. 

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.