Fortschritt 1: Mehr Zebrastreifen
Zebrastreifen (im Amtsdeutsch „Fußgängerüberwege“) können künftig leichter angelegt werden. Bisher musste für jeden Ort eine besonders große Gefahr beim Queren nachgewiesen werden, zudem brauchte es bestimmte Mindest- und Höchstanzahlen beim Fuß- und Fahrverkehr. Beide Beschränkungen sind entfallen. Die restriktive Richtlinie für Fußgängerüberwege „R-FGÜ“ ist nicht mehr verbindlich. Neuerdings sind Zebrastreifen auch möglich, wo Fahrzeuge grüne Ampel-Wellen haben.
Wo Zebrastreifen über die Fahrbahn von Hauptverkehrsstraßen führen, kann jetzt das Tempo auf 30 beschränkt werden. Nötig ist das besonders dort, wo die Sicht zwischen angrenzenden Gehwegen und Fahrbahnen eingeschränkt ist, zum Beispiel durch geparkte Fahrzeuge oder Bäume.
Andere Hindernisse für die Schaffung von Zebrastreifen sind in den Verwaltungsvorschriften leider geblieben:
- „Fußgängerüberwege müssen ausreichend weit voneinander entfernt sein“. Das meint: Es sollen nicht zu viele den Fahrzeugverkehr behindern.
- An Kreuzungen sei „zu prüfen, ob es nicht ausreicht, über die Straße mit Vorfahrt nur einen Fußgängerüberweg anzulegen“: Sprich: Wer in der Querrichtung geht, muss womöglich erst eine ungesicherte Fahrbahn überqueren, dann einen Zebrastreifen und dann gegenüber wieder eine Fahrbahn ohne Sicherung.
- An Kreuzungen mit abknickender Vorfahrt dürfen Zebrastreifen nicht angelegt werden. Dabei ist hier Fußgängerschutz besonders nötig, da schnell gefahren wird und die Situation an der Knickstelle komplex ist.
Fortschritt 2: Längere Tempo-30-Strecken
Auf Hauptverkehrsstraßen des Kfz-Verkehrs können mehrere kurze Tempo-30-Abschnitte jetzt zu einem längeren gemacht werden, wenn zwischen ihnen bis zu 500 Meter liegen. Bisher gibt es da viel Flickwerk: mal Tempo 30 wegen eines Kindergartens, mal zum Lärmschutz im Wohngebiet – aber immer nur auf höchstens 300 Metern. Die Reform hat aber eine Schwäche: Vor dem Kindergarten darf Tempo 30 nur tagsüber gelten, im Wohngebiet nur nachts. Es ist unklar, wie 30er-Strecken mit unterschiedlichen Geltungszeiten verknüpft werden können.
Fortschritt 3: Tempo 30 auf „hoch frequentierten Schulwegen“
Fast eine Revolution im Tempo-fixierten deutschen Verkehrsrecht: Wo viele Schulkinder unterwegs sind, ist Tempo 30 ab jetzt die Norm und 50 die Ausnahme. In der neuen Verwaltungsvorschrift heißt es: „Innerhalb geschlossener Ortschaften ist die Geschwindigkeit auch entlang hochfrequentierter Schulwege in der Regel auf Tempo 30 km/h zu beschränken. Dies gilt insbesondere auch auf klassifizierten Straßen (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) sowie auf weiteren Vorfahrtstraßen.“
Aber wann ist ein Schulweg „hoch frequentiert”? Die neue Verwaltungsvorschrift erklärt es umständlich: „Hochfrequentierte Schulwege sind Straßenabschnitte, die innerhalb eines Stadt- oder Dorfteils eine Bündelungswirkung hinsichtlich der Wege zwischen Wohngebieten und allgemeinbildenden Schulen haben. Diese Wege können auch im Zusammenhang mit der Nutzung des ÖPNV bestehen. Ihre Lage ist begründet darzulegen. Sie kann sich auch aus Schulwegplänen ergeben, die von den betroffenen Schulen und der zuständigen Straßenverkehrsbehörde sowie ggf. Polizei und Straßenbaubehörde erarbeitet wurden.“
Wie stark ein Stück Schulweg frequentiert ist, kann leicht digital ermittelt werden, wie die Website fixmyberlin.de/schulwegsicherheit/friedrichshain-kreuzberg zeigt. Für die Karte auf dieser Seite wurden die Wohnadressen der Kinder verwendet (natürlich anonymisiert) und daraus die Wegebeziehungen zur Schule ermittelt. Viele Kinder = hochfrequentierte Schulwege.
Für 30er-Strecken an Schulwegen gibt es keine maximale Länge. Und sie sind nicht nur nah an Schulen möglich, sondern auch rund um Haltestellen von Bussen und Trams, mit denen viele Kinder zur Schule fahren.
Viele Verkehrsbehörden zögern allerdings noch. Sie sollten jetzt Druck von Eltern, Kommunalpolitik und Initiativen bekommen, damit sie die neue Vorschrift rasch umsetzen. Wichtig: Wollen Behörden das erlaubte Höchsttempo auf einem solchen Schulweg entgegen der Norm bei 50 Stundenkilometern belassen, sollte man von ihnen eine explizite Begründung verlangen.
Fortschritt 4: Mehr Raum für Füße, Räder und Busse
Für Städte und Gemeinden ist es leichter geworden, Straßenraum zugunsten des Fuß-, Rad- und Busverkehrs umzuwidmen. Das meint nicht nur breitere Bürgersteige, Radwege und Busspuren, sondern auch Kiezblocks und Sperrungen fürs Auto, die den umweltschonenden Verkehr im Gebiet erleichtern. Bisher wurden solche Projekte oft weggeklagt; das dürfte nunmehr schwerer sein. Praktische Erfahrungen mit den neuen Regeln müssen aber erst noch gesammelt werden.
Gehwegparken legalisieren: Erleichterung geplant, Verkomplizierung geschaffen
Obwohl Parken gar nicht Thema der Verkehrsrechtsreform war, mischte das Bundesland Bremen in die Bundesrats-Abstimmung der Verwaltungsvorschriften ein Thema hinein, das dort zwei Regierende bewegt – Innensenator Ulrich Mäurer von der SPD und Verkehrssenatorin Özlem Ünsal, beide SPD.
Bremen war 2024 vom Bundesverwaltungsgericht zu etwas verurteilt worden, das selbstverständlich sein sollte: Das Mäurer unterstehende Ordnungsamt muss gegen illegales Gehwegparken einschreiten. Bisher guckte es in hunderten von Straßen in Bremen weg; Mäurer hat mehr Respekt vor „Parkdruck“-Krakeelern als vor diesem Recht, für dessen Umsetzung er theoretisch im Amt ist.
Darum probieren er und Ünsal es mit einem neuen Trick: Sie brachten in den Bundesrat einen Antrag ein und durch, der dort nicht diskutiert und nicht einmal explizit zur Abstimmung gestellt wurde, sondern sehr unauffällig im Tagesordnungspunkt 35 als 46. Antrag in einem intransparenten Antragspaket abgestimmt wurde.
Schon länger steht in der Verwaltungsvorschrift ein Satz, der die Legalisierung von Gehwegparken für sich genommen meist unmöglich macht: „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt.“ Diesen Satz wollen Mäurer und Ünsal mit ihrer Ergänzung aufweichen: „Für die Beurteilung des unbehinderten Verkehrs sind die Länge der Verengung, das Verhältnis der für das Parken auf Gehwegen in Anspruch genommenen zur gesamten Gehwegfläche, die Dichte des Gehwegverkehrs und die Ausweichmöglichkeiten zu berücksichtigen. Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände.“
Es ist aber ziemlich unwahrscheinlich, dass diese Aufweichung funktioniert. Dafür gibt es etliche Gründe:
- Bremens Senat berief sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum illegalen Gehwegparken. Das Gericht hatte Kriterien dafür genannt, wo hiergegen besonders rasch eingeschritten muss und wo es in anderen Fällen nicht ganz so dringlich ist. Bremen drehte den Sinn um und tut so, als habe das Gericht Maßstäbe dafür aufgestellt, wo legales Gehwegparken künftig möglich sei. Das war aber gar nicht Thema des Urteils.
- Auch in wichtigen Einzelpunkten wich Bremens Antrag vom Urteil ab. Das Bundesverwaltungsgericht hatte Maßstäbe für die Unverträglichkeit von Schwarzparken genannt: die Breite des Gehwegs und die Folgen des Gehwegparkens „für Personen im Rollstuhl und im Kinderwagen“ sowie für „Personen mit einem Kind an der Hand“. Das war den beiden Sozialdemokraten offenbar allzu sozial: Nähme man auf diese Gruppen Rücksicht, könnte man auf kaum einen Bremer Gehweg das Parken legalisieren. Also kam es nicht in den Antrag.
Andere Maßstäbe des Gerichts kamen in den Antrag, sind aber in der Praxis nur schwer anzuwenden.
- Um die „Dichte des Gehwegverkehrs“ zu beurteilen, muss man ihn zuerst methodisch sauber zählen. Hier geht es um die Folgen einer Beeinträchtigung. Zählgrundlage muss deshalb der Umfang des Fußverkehrs ohne diese Beeinträchtigung sein. Wo schwarz geparkt wird, müssen deshalb zuerst alle Autos weg – das Gegenteil dessen, was Mäurer und Ünsal wollen.
- Bedacht werden sollen auch die „Länge der Verengung“ durch legales Parken und der Abstand zwischen „Ausweichmöglichkeiten“. Aber dafür gibt es kein verbindliches Maß – SUV-Senatoren würden ein ganz anderes für verträglich halten als Zwillingskinderwagen-Schieber und Rollstuhlbenutzerinnen.
- Ganz und gar untauglich für die Praxis ist das „Verhältnis der für das Parken auf Gehwegen in Anspruch genommenen zur gesamten Gehwegfläche“, das laut Verordnung jetzt gewürdigt werden soll: Ist der Gehweg fünf Meter breit, kann ein Verhältnis von Parkplatz zu begehbarem Restraum von 50 zu 50 noch zuträglich sein. Ist er nur einen Meter schmal, dann funktioniert es auch bei nur einem Zentimeter Parken und verbleibenden 99 Geh-Zentimetern nicht.
- Auch die am Schluss geforderte „Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände“ erfordert viel Aufwand und ist der Würdigungs-Willkür überlassen.
Schon allein das Einhalten der neuen Verwaltungsvorschrift ist also eine für Verkehrsbehörden herkulische Aufgabe. Der Legalisierung von Gehwegparken stehen aber noch mehr Gesetze und Vorschriften entgegen:
- § 45 Abs. 9 der Straßenverkehrsordnung schreibt vor: „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.“ Das gilt natürlich auch für Gehwegparken. Zugelassen werden darf es nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nur, wenn eine „Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs“ gegeben ist. Weder die Sicherheit noch die Ordnung des Verkehrs sind gestört, wenn jemand woanders parken muss, als er gern würde.
- Gesetze im Bund und in allen Ländern verbieten die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Diese Diskriminierung ist massiv, wird ihnen existenznotwendiger Mobilitätraum zugeparkt. Dagegen können sie individuell klagen, aber auch anerkannte Verbände können das.
- Nicht in Bremen, aber immerhin in der Hälfte aller Bundesländer verlangen die Straßen- und Wegegesetze Vorrang des Gehens vor dem Parken. Sie enthalten in Baden-Württemberg, Brandenburg Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen den wortgleichen Satz „Im Rahmen des Gemeingebrauchs hat der fließende Verkehr den Vorrang vor dem ruhenden.“ Auch Gehen gehört zum fließenden Verkehr.
Fazit: Gehwegparken ist nur schwer legalisierbar
Das Fazit aus all dem: Mit der neuen Vorschrift ist der Versuch, Gehwegparken legal anzuordnen, aufwendig und im Ergebnis ungewiss. Will eine Verkehrsbehörde dies versuchen, muss sie viel Arbeitskraft binden und braucht hohe rechtliche Risikobereitschaft. Der FUSS e.V. rät: Ämter sollten ihre Kraft besser in konstruktive Aufgaben investieren als darin, auf sehr fragwürdige Weise Gehraum zu beschneiden.
Diesen Beitrag finden Sie in der Mobilogisch Ausgabe 2-25 auf den Seiten 12 bis 14.
Wir bedanken uns beim Autor Roland Stimpel von Fuss e.V.