Vor dem Gesetz sind alle gleich. Auch die Fußgänger?

Können Sie auf den Wegen zur Arbeit, Schule, Einkauf, Arzt, Sport- und Freizeitmöglichkeiten im Alltag zu Fuß laufen? Dann können Sie sich glücklich schätzen: Sie wohnen entweder in einer Kommune mit vernünftiger Stadt- und Verkehrsplanung. Oder Sie haben genug Geld, um sich die Miete einer zentralen Wohnlage leisten zu können. Früher war das anders.

Sprichwörter wie das scherzhafte „des Schusters Rappen“ oder „komm herunter von Deinem hohen Ross“ zeugen davon: Privilegierte gingen nicht zu Fuß. Das hat sich auch im Straßenverkehrsrecht niedergeschlagen. Um die Rechte der Zu-Fuß-Gehenden ist es dort schlecht bestellt. Aber warum ist das so? Und wie könnte man es ändern?

Praktisch jede Reform der Straßenverkehrsordnung der letzten Jahre sollte ihren ausdrücklichen Zielen nach etwas für die nicht-motorisierten Verkehrsarten tun. Bei der letzten Novelle im Jahr 2024 lag der Fokus speziell auf dem Fußverkehr: Fußgängerüberwege können jetzt leichter angeordnet werden, es sollen angemessene Flächen für den Fuß- und Fahrradverkehr bereitgestellt werden, und es gibt erleichterte Möglichkeiten Tempo 30 in Schulstraßen anzuordnen. Das sind schon punktuelle Fortschritte, die in der Summe etwas bewirken könnten – jedenfalls, wenn vor Ort davon Gebrauch gemacht wird. Wobei wir wieder beim Glück wären, in einer Kommune mit vernünftiger Verkehrsplanung zu wohnen.

Am Ende kommt bei derartigen Reformen meist weniger herum, als erhofft. Das liegt vor allem daran, dass sich gewisse Grundstrukturen im Straßenverkehrsrecht nicht ändern.

Strukturelle Benachteiligung des Fußverkehrs

Die Straßenverkehrsordnung wurde 1934 mit dem Ziel erlassen, den Kraftfahrzeugverkehr zu fördern. Das stand nicht nur ausdrücklich in der Vorrede, sondern äußert sich auch in fast jedem der Paragrafen. Fußverkehr kommt im Straßenverkehrsgesetz und der Straßenverkehrsordnung eigentlich auch heute immer noch primär als Verkehrshindernis vor. Die zentralen Regelungen dienen dem Fahrzeugverkehr, so etwa die Vorfahrtsregeln, die Fußgänger schlicht übergehen. Lediglich beim Abbiegen sollen die Fahrzeugführer auf sie achten und notfalls anhalten. Die Benutzung der Fahrbahnen im Längsverkehr ist für Fußgänger immer dann verboten, wenn ein Gehweg (sei er noch so schmal und dysfunktional) vorhanden ist. Das Queren der Fahrbahn muss zügig und auf kurzem Weg vonstattengehen.

Erschwerter Schutz vulnerabler Verkehrsteilnehmer

An das alles haben sich Fußgänger mehr oder weniger gewöhnt, auch wenn es in den Anfangszeiten der Automobilität heftige Auseinandersetzungen über die Priorisierung des Kraftfahrzeugverkehrs gab. Was aber schwieriger zu akzeptieren ist, ist die Tatsache, dass es nach deutschem Recht rechtlich oft kaum Möglichkeiten gibt, den Fußverkehr zu fördern und zumindest punktuell gleichberechtigt zu behandeln. Dass dies so ist, liegt an den hohen Anforderungen an die Begründung von Verboten und Beschränkungen des Verkehrs.
Was man eigentlich nur noch als zynisch bezeichnen kann, ist die Tatsache, dass diese Anforderungen 1994 durch eine Reform der StVO eingeführt wurden, die offiziell der Verkehrssicherheit und Förderung nicht-motorisierter Verkehrsarten, in dem Fall dem Fahrradverkehr dienen sollte.
Außerdem wurde jedoch zur Reduktion des damals als Problem thematisierten „Schilderwalds“ auch in die StVO aufgenommen, dass Verkehrszeichen nur noch dann angeordnet werden sollten, wenn es zwingend erforderlich sei. Insbesondere der fließende Verkehr sollte nur noch eingeschränkt werden, wenn eine sogenannte qualifizierte Gefahrenlage gegeben sei. Dafür muss die zuständige Behörde nachweisen, dass eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht.

Verbot der Verkehrsbeschränkungen

Mit anderen Worten sind Fußgänger nicht nur gegenüber dem fließenden Verkehr, der fast immer als Kfz-Verkehr verstanden wurde, benachteiligt. Es wurde den Straßenverkehrsbehörden auch im Normalfall verboten, dies durch Verkehrszeichen zur Beschränkung des Fahrzeugverkehrs zu kompensieren.
In der jüngsten Reform der StVO wurde das zwar durch einige Ausnahmen durchbrochen. Das Prinzip bleibt aber dasselbe: Nach den Grundregeln der StVO haben Fahrzeuge praktisch immer Vorfahrt. Erleichterungen für den Fußverkehr sind begründungsbedürftig und in der Regel nur zulässig, wenn sie zwingend erforderlich sind. Pate für diese Regelung stand vermutlich ein Freiheitsbegriff, der nicht berücksichtigt, dass für den Fuchs im Hühnerstall Freiheit etwas anderes bedeutet als für die Hühner.
Daran ändert auch die Reform kaum etwas. Weiterhin müssen fast alle Maßnahmen zwingend erforderlich sein. Anders ist es nur bei der Bereitstellung angemessener Flächen für den Fußverkehr. Hier räumt sie Spielräume für Kommunen ein, gibt Fußgängern aber wohl keine „subjektiven Rechte“ an die Hand. Das heißt, sie sind weiter auf vernünftige Planung angewiesen, können diese aber nicht einfordern.

Zu Fuß vor Gericht?

Die Nachteile, die Fußgänger vor dem Gesetz haben, schlagen nämlich auch im Verwaltungsverfahren und vor Gericht durch. Statt Beschränkungen oder Verbote durch einen Widerspruch oder eine Klage abzuwehren, wie es typischerweise Autofahrer tun, geht es ihnen oft darum, sich ihren Raum und ihre Vorrechte, zum Beispiel Erleichterungen beim Queren der Fahrbahn zu erstreiten. Statt Anordnungen anzufechten, wollen sie in den meisten Fällen die Behörden zu Anordnungen oder Maßnahmen verpflichten. Das ist vor Gericht oder beim Widerspruch immer die schwierigere Position.
Und zwar auf doppelte Weise: Zunächst einmal setzt es voraus, dass ihnen überhaupt eine Antrags- oder Klagebefugnis eingeräumt wird. Dafür müssen sie nachweisen, dass sie in eigenen Rechten betroffen sein können. Bei der Untätigkeit der Behörde muss es einen öffentlich-rechtlichen Anspruch geben, eine Norm, gegen die durch die Untätigkeit verstoßen wird und die „drittschützenden Charakter“ hat. Die Verwaltungsgerichte verlangen, dass Kläger auf eine Weise betroffen sind, die sie gegenüber der Allgemeinheit als klar definierbare Gruppe heraushebt. So wurde die Klagebefugnis beispielsweise bei Anwohnern einer Straße angenommen, allerdings nur für den Fußweg vor dem eigenen Haus bis zur nächsten Querstraße.
Etwas leichter ist es, die Klagebefugnis zu begründen, wenn Fußgänger von einer Anordnung betroffen sind, etwa von einer Verkehrsampel, deren Freigabe sehr lange auf sich warten lässt oder wohl auch wenn eine Anordnung aufgesetzten Parkens keinen Platz für Rollstuhl oder Kinderwagen lässt.
Auch bei der Begründung des Anspruchs ist eine Verpflichtungsklage anspruchsvoller. Denn statt, wie bei der Anfechtung einer bereits bestehenden Anordnung, bloß auf die Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu verweisen, muss begründet werden, dass die von den Zu-Fuß-Gehenden begehrte Anordnung, z.B. ein Fußgängerüberweg, die einzig rechtmäßige und gebotene Alternative ist. Das ist in der Regel so nicht möglich. Denn die Behörde hat bei der Regelung des Verkehrs einen Ermessensspielraum. Daher kann das Gericht die Behörde typischerweise nur dazu verpflichten, die Sache noch einmal neu zu entscheiden.

Fazit

Sind Fußgänger nun vor dem Gesetz gleich? Wenn man sich StVO unvoreingenommen anschaut, ist die Antwort klar: Nein. Daran ändern auch die vielen Reformen der StVO nichts, wenn sie immer nur weitere Ausnahmen einfügen. Es wäre an der Zeit, auf grundsätzlicherer Ebene in die StVO Rechte für Fußgänger einzufügen. Die Voraussetzung, dass gemäß § 45 Abs. 9 StVO Verkehrsbeschränkungen und -verbote zwingend erforderlich sein müssen, sollte komplett gestrichen werden.

Autor:
Dr. Olaf Dilling


Dieser Artikel erschien in der Mobilogisch Ausgabe 4/2025.


 

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