Nach der nunmehr dritten Radverkehrsnovelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) und ihrer Verwaltungsvorschriften (VwV-StVO) erkennen immer mehr Bundesländer und Fachleute den Bedarf einer Fußverkehrsnovelle.

Die Fußverkehrsnovelle kommt, wenn Bundesregierung mitmacht

Erste „Vorschläge zur Novellierung des Rechtsrahmens zur Erhöhung der Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“ enthält der Bericht der Ad-hoc-AG Fußverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz vom 3.3.2021. Er wurde zur Sitzung vom 15./16.4.2021 vorgelegt und ist öffentlich einsehbar [1]. Die Vorschläge wurden unter der Federführung Bremens durch Vertreter/innen von neun Bundesländern und externe Sachverständige aus den Bereichen Verkehrs-, Straßenplanung und ­-verkehrsrecht erarbeitet. In dieser und den folgenden Ausgaben der mobilogisch! befassen wir und mit den im Bericht enthaltenen 18 Ansätzen.

Eine Schlüsselmaßnahme darin ist die Einführung eines Verkehrszeichens „Begegnungszone“; eine Forderung, die viele Fachverbände (FUSS e.V., ADAC, SRL, BSVI u.a.) schon vor mehr als 12 Jahren vorgebracht und zumeist auch immer wieder erneuert haben.

Einführung der Begegnungszone: Wieso, weshalb, warum

Begegnungszonen sollen den Fahrzeugverkehr verlangsamen, das Parken ausschließen bzw. ordnen und dem Fußverkehr mehr Rechte und Freizügigkeit im Straßenraum geben. Alles Wirkungen, die grundsätzlich schon der Verkehrsberuhigte Bereich (Verkehrszeichen 325.1) aufweist. Da dessen Einsatz auf stärker befahrenen Straßen eine großzügige Auslegung durch wohlwollende Verwaltungsleute erfordert und nicht immer stimmig ist (s.u.), brauchen wir zusätzlich das neue Verkehrszeichen. Es geht um rechtssichere und freilich möglichst fußverkehrsfreundliche Regelung in „Straßen, Plätzen und Bereichen

a) mit überwiegender Aufenthaltsfunktion oder

b) mit hohem flächenhaftem Querungsbedarf oder

c) in zentralen städtischen Bereichen mit hohem Fußgängeraufkommen oder

d) in Straßenräumen, in denen sich auch durch Umbaumaßnahmen keine Mindestmaße für Fuß- und Fahrverkehr hergestellt werden könnten.“ [2]

Verkehrsberuhigte Bereiche dürfen zwar sogar auf klassifizierten Straßen eingesetzt werden (wegen einer historischen und unkritischen Regelungslücke [3]). Doch sind sie formaljuristisch für stärker befahrende Straßen nicht optimal geeignet, weil sie

  • eine regelmäßige Erlaubnis zum Kinderspiel beinhalten (was Straßenverkehrsbehörden i.d.R. von der Anordnung auf stärker befahrenen Straßen abhält, auch wenn dort real keine Kinder spielen würden),
  • maximal Schritttempo für Fahrzeuge vorschreiben (was in Wohnstraßen stimmig ist, aber nicht unbedingt in jeder anderen Situation, wo mitunter situativ auch die Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h akzeptabel sein kann, z.B. Geschäftsstraßen und enge Ortsdurchfahrten, wenn kein Fußverkehr auf den Fahrgassen vorhanden oder zu erwarten ist),
  • seit September 2009 nur bei Straßen mit „sehr geringem Verkehr“ neu angeordnet werden dürfen (was als unbestimmter Rechtsbegriff freilich bei guter Begründung auch großzügig ausgelegt werden kann).

Zusammengefasst begründet die Ad-hoc-AG den Bedarf zur Begegnungszonen-Einführung wie folgt: „Es fehlt eine Zone, in der die gleichberechtigte Fahrbahnbenutzung des Fußverkehrs zulässig ist und die gleichzeitig ohne größere Umbaumaßnahmen umgesetzt werden kann.“ [4] „Die Einsatzmöglichkeiten des verkehrsberuhigten Bereichs sind eng: die Einführung ist oftmals mit einem (hohen) baulichen Aufwand verbunden.“ [5]

Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche (zumeist Tempo-10- oder Tempo-20-Zonen [6]; § 45 Abs. 1d StVO) sind keine vollwertige Alternative für die o.g. besonderen Straßenraumsituationen, da sie reine Geschwindigkeitsbegrenzungen ohne sonstige Regelungen zugunsten des Fußverkehrs umfassen.

Aktueller Diskussionsvorschlag der Ad-hoc-AG zur Begegnungszone ...

Die Ad-hoc-AG Fußverkehrspolitik begründet den Bedarf zur Begegnungszonen-Einführung wie folgt: „Die Einsatzmöglichkeiten des verkehrsberuhigten Bereichs sind eng: die Einführung ist oftmals mit einem (hohen) baulichen Aufwand verbunden. (…) Es fehlt eine Zone, in der die gleichberechtigte Fahrbahnbenutzung des Fußverkehrs zulässig ist und die gleichzeitig ohne größere Umbaumaßnahmen umgesetzt werden kann.“ [7]

Kernpunkte des vorliegenden Vorschlags der Ad-hoc-AG hinsichtlich der Begegnungszone sind insbesondere

  • eine weitgehende Übernahme der Österreichischen Regelung (siehe Kasten) mit einzelnen Anpassungen und samt dortigem Schild, [2]
  • die Einführung einer Schachbrettmustermarkierung als Eingangsbereichskennzeichnung [2] und
  • den Entfall des Verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs nach einer Übergangsfrist (um die Verkehrsteilneh­mer/innen nicht mit zu vielen Zonen-Regelungstypen zu überfordern) [8].

… mit Abwegen im Detail, daher bitte nachbessern

Die vorliegenden „Vorschläge zur Novellierung des Rechtsrahmens zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“ der Ad-hoc-AG Fußverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz erhalten etliche sinnvolle Optimierungsansätze zum Gehen und Verweilen, auf die in einem gesonderten Artikel (in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift) näher eingegangen wird. Der Vorschlag Nr. 16 „Begegnungszone“ erfüllt aber noch nicht sämtliche Erwartungen und Bedarfe bezüglich des eigenen Kernanliegens der Ad-hoc-AG, nämlich „Erhöhung der Verkehrssicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“ (Berichtstitel). Auf den Prüfstand zu stellen und zu optimieren sind insbesondere folgende Empfehlungen:

  1. Theoretische Gleichberechtigung von Fahr- und Gehverkehr statt Fußverkehrsvorrang
  2. Bezeichnung und Wertung der Verkehrsfläche als „Fahrbahn“
  3. Geltung der gängelnden Allgemeinregelungen zur „Fahrbahn“-Querung
  4. Verzicht auf ein Abbremsgebot für Radfahrende, selbst „wenn nötig“
  5. Abschaffung des Verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs

                                              Fußverkehrsvorrang: Fahrzeugwartepflicht = Fußgängervortritt

Zu 1. Fußverkehr muss priorisiert, d.h. bevorrechtigt werden

Obwohl der Fußverkehr bei fast allen ausländischen Begegnungszonen-Regelungen bevorrechtigt ist, wird für Deutschland ausgerechnet eine fahrzeugfreundliche Alternativregelung vorgeschlagen, die es nur in Österreich gibt. „Gleichberechtigung“ klingt zunächst sympathisch und sozial. Das ist es aber nicht, wenn der eine Part ungeschützte Menschen aller Altersstufen umfasst - und der andere meist motorisierte Maschinen, die längere bis lange Anhaltewege und mitunter das Tausendfache an Gewichtsmasse aufweisen. Schon die juristisch gegebene Gleichberechtigung von Frauen und Männern funktioniert in der Praxis nicht wirklich (vgl. Durchschnittslohnniveau und Führungspositionsbesetzung). Wer Gleichberechtigung von Geh- und Fahrverkehr möchte, verfolgt entweder eine sozialromantische Vision oder einen faulen Kompromiss, der die allgemein bestehenden Privilegien des Kfz- und/ oder Fahrradverkehrs möglich wenig antasten will. Einige Gründe, warum auch die deutsche Begegnungszone Fußverkehrsvorrang braucht, sind im gleichnamigen Textkasten aufgeführt. Übrigens gilt auch im Verkehrsberuhigten Bereich keine Gleichberechtigung.

                                           Warum auch die deutsche Begegnungszone Fußverkehrsvorrang braucht

Zu 2. Begegnungszonen sollten befahr­bar, aber keine Fahrbahn sein

Wenn wie vorgeschlagen - und in Österreich realisiert - der befahrbare Teil der Verkehrsfläche als „Fahrbahn“ bezeichnet und gewertet wird, ist Fußverkehr dort nur zu Gast. Das widerspricht der proklamierten „Gleichberechtigung“ und schwächt den Fußverkehrsstatus noch weiter. Beim Verkehrsberuhigten Bereich und bei der Schweizer Begegnungszone wurde demgegenüber bewusst der neutrale Begriff „Verkehrsfläche“ für die Gesamtfläche gewählt. Übrigens kann die Verkehrsfläche in sich differenziert gestaltet und nur teilräumlich befahrbar sein (Einplanung und Herstellung von Teilflächen nur für zum Gehen und Verweilen). [9]

Zu 3. Hauptbedarf: Attraktive Querbarkeit

Gemäß Ad-hoc-AG-Bericht soll Fußverkehr die „Fahrbahn“ in der Begegnungszone „abweichend von § 25 Abs. 1 in ihrer ganzen Breite nutzen dürfen“. Das ist gut, entspricht aufgrund des Verweises nur auf „Abs. 1“ aber nicht vollumfänglich dem Bedarf. Die genannte Abweichung bezieht sich nur auf eine Liberalisierung beim Längsgehen im Straßenraum. Wichtig ist auch die Liberalisierung beim Quergehen, v.a. bei stärker befahrenen Straßen. Bei den übrigen gewährleistet das schon, samt großzügigem Verweilangebot, der Verkehrsberuhigte Bereich. Auch die Begegnungszone muss diese Abweichung von den ansonsten geltenden Standardverkehrsregeln des § 25 Abs. 3 zum Queren bieten. Sonst gälte in der deutschen Begegnungszone, wer „zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten. Wenn die Verkehrsdichte, Fahrgeschwindigkeit, Sichtverhältnisse oder der Verkehrsablauf es erfordern, ist eine Fahrbahn nur an Kreuzungen oder Einmündungen (...) zu überschreiten.“

Zu 4. Auch per Rad „wenn nötig“ die Geschwindigkeit senken

Der Vorschlag der Ad-hoc-AG enthält einen grundsätzlich wichtigen, in seiner Spezifizierung aber kritischen Verkehrsregel-Entwurf. Nach der bei allen Begegnungszonen- und Wohnstraßenregelungen (samt Z 325.1) gültigen Vorgabe zur Nichtgefährdung und Nichtbehinderung des Fußverkehrs durch Fahrzeugführerinnen sowie zur Rücksichtnahme auf ihn, soll eingefügt werden: „Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern“. Letzteres schließt Fahrräder bewusst aus. [10] Angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit von gehenden Kindern, alten und sog. „behinderten“ Menschen und dem zweifelsohne gegebenen Beeinträchtigungspotential durch unangemessen schnellen Radverkehr ist das vorgeschlagene Sonderrecht nicht mit der angestrebten friedlichen Koexistenz aller Verkehrsteilnehmer/innen vereinbar.

Zu 5. Option Verkehrsberuhigte Geschäfts­bereiche weiter sinnvoll

Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche sollen gemäß aktuellem Vorschlag im Bericht der Ad-hoc-AG entfallen, wenn die Begegnungszone eingeführt werden wird. Das klingt zunächst plausibel; zum einen, weil sie „nur“ die Fahrzeughöchstgeschwindigkeit und sonst überhaupt nichts an den örtlichen Verkehrsregelungen ändern; zum anderen, um (vermeintliche) Verwirrung durch Regelvielfalt zu vermeiden. Allerdings würde die befürchtete Verwirrung bei Beibehaltung dieser Anordnungsoption nicht auftreten, da gerade das zur Abschaffung vorgeschlagene Verkehrszeichen eindeutig ist: Hier gilt die angegebene niedrige Fahrzeughöchstgeschwindigkeit. Da es viele Straßen gibt, wo sowohl Temposenkung als auch die Beibehaltung des Trennprinzips (Gehweg, Fahrbahn, Gehweg) angemessen sind, sollte diese Option weiter zur Auswahl stehen. Aufgeschlossene Verkehrsbehörden und Gemeinden haben nämlich nur ein kleines Instrumentarium, um Einfluss auf die Minderung der erlaubten Fahrgeschwindigkeit zu nehmen.

Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche sind für Gemeindestraßen ein wichtiger Lösungsansatz. Sie werden im Einvernehmen mit der Gemeinde angeordnet (vgl. § 45 Abs. 1c), ein rares Mitbestimmungsrecht bei der ansonsten fast durchweg hoheitlichen Entscheidungskompetenz der Straßenverkehrsbehörden (staatliche Auftragsangelegenheit). Zudem sind sie indirekt [11] von der allgemeinen Anordnungsvoraussetzung befreit, dass „auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt“ (§ 45 Abs. 9 Nr. 4.). Daher sind diese eckigen Verkehrszeichen viel leichter zu initiieren und durchzusetzen als die „normalen“ runden Geschwindigkeitsbeschränkungen. Dies spricht für die vorläufige Beibehaltung der Regelungsoption (bis zur aktuell nicht absehbaren Einführung von Tempo 30 als Regel-Innerortshöchstgeschwindigkeit oder zumindest einer kommunalen Befugnis für das Fahrzeugtempo-Regime.

Bei der Abfassung der Verwaltungsvorschriften kann der Verordnungsgeber den Impuls geben, entsprechend geeignete Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche im Bestand als Begegnungszonen umzubeschildern, damit die damit verbundenen Zusatznutzen für den Fußverkehr aktiviert werden. Begegnungszonen sind dort angemessen, wo Interaktionen von Geh- und Fahrverkehr zu harmonisieren sind.

Optimal: Weiter Verkehrsberuhigter Bereich plus Begegnungszone

Aus Fußverkehrssicht sehr zu würdigen ist der Ansatz der Ad-hoc-AG, den Verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1) weiter beizubehalten [12]. Spezifische Regelungen sind sinnvoll und in z.B. in Österreich und Luxemburg vorhanden. Bislang ist der Verkehrsberuhigte Bereich hierzulande die „eierlegende Wollmilchsau“ für städtebauliche Straßen- und Platzräume, in denen der Kfz-Verkehr derzeit weiterhin stattfinden muss und möglichst verträglich integriert werden soll.

Die Fußverkehrsnovelle bietet die Chance, ihn zu einer spezifischen Lösung für Mischverkehrssituationen zu machen, in denen der Aufenthalt im Mittelpunkt steht (Aufgabenstellung Verweilmöglichkeit samt Spieloption). Die Begegnungszone ist dann ein spezifisches Instrument für mischgenutzte Straßenräume mit besonderem Querungsbedarf oder baulicher Enge, die keine oder keine akzeptabel breiten Gehwege ermöglichen (Aufgabenstellung bevorrechtigte lineare Querung oder fußgängerfreundliche Engstellenregelung [13]). Genau dieses Regelungsduo hat der FUSS e.V. schon 2009 entwickelt und vorgeschlagen [14]. Dieses Konzept mit weiteren Detailoptimierungen ist grundsätzlich weiterhin aktuell und das fußverkehrsfreundlichste Shared Space-Angebot für Straßen und Plätze mit Kfz-Verkehr [14]. Aufnahme in die StVO empfohlen und erbeten. Die Wiederveröffentlichung erfolgt in mobilogisch 3-22.

In Kürze

Endlich gibt es konkrete Initiativen zur Einführung der Begegnungszone in Deutschland. Leider orientiert sich der von gutwilligen Bundesländern eingebrachte Regelungsvorschlag nicht an der internationalen Best Practice, sondern ausgerechnet an der weltweit fahrzeugfreundlichsten Variante: der Österreichischen Regelung einer „Fahrbahn“ mit indirekt vorgegebener „Gleichberechtigung“ von Geh- und Fahrverkehr. Benötigt wird jedoch ein Instrument mit Fußverkehrsvorrang – erst recht im Rahmen einer „Fußverkehrsnovelle“ der StVO. Der aktuelle Vorschlag sieht im übrigen die Beibehaltung des Verkehrsberuhigten Bereichs vor, was zu begrüßen ist und schon 2009 vom FUSS e.V. angeregt wurde - mit weiteren Optimierungsvorschlägen, die nach wie vor aktuell sind.

Quellen und Anmerkungen:

In der folgenden Ausgabe (3/22) der mobilogisch erfolgt eine Wiederveröffentlichung des Vorschlags von FUSS e.V. aus dem Jahr 2009

[1] Ad-hoc-AG Fußverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz: „Vorschläge zur Novellierung des Rechtsrahmens zur Erhöhung der Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“. Bericht. Bremen, März 2021. www.verkehrsministerkonferenz.de → Termine und Beschlüsse → 15./16.4.2021 → TOP 6.3

[2] ebenda, S. 27

[3] Das Straßenverkehrsrecht schließt nur den Einsatz von Tempo-30-Zonen und – indirekt - anderen Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen auf klassifizierten Straßen aus (§ 45 Abs. 1c und 1d StVO). Erfolgreiches Anwendungsbeispiel: Landesstraße 22 / Opernplatz Duisburg mit bis zu 18.000 Kfz/h und ohne besondere Sicherheitsprobleme

[4] Ad-hoc-Bericht, S. 30

[5] ebenda, S. 29. Die Aussage bezieht sich auf die Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 325.1 / 325.2: „In der Regel wird ein niveaugleicher Ausbau für die ganze Straßenbreite erforderlich sein.“ Diese Vorgabe ist aber flexibler als es scheint: „In der Regel“ bedeutet juristisch, dass begründete Abweichungen möglich sind

[6] Es sind auch Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche als Tempo-5- und Tempo-30-Zonen in „zentralen städtischen Bereiche mit hohem Fußgängeraufkommen und überwiegender Aufenthaltsfunktion“ möglich (vgl. § 45 Abs. 1d StVO)

[7] Ad-hoc-Bericht, S. 29f

[8] Ad-hoc-Bericht, S. 30. Irritierend ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag, Begegnungszonen als „Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen“ zu definieren. Das ist bisher der Oberbegriff für Tempo-30-Zonen (die die Ad-hoc-AG erhalten will) und Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche. Begegnungszonen sind aber multifunktionale Verkehrszeichen (wie auch Z. 325.1), die nicht nur Regelungen zur Fahrzeughöchstgeschwindigkeit umfassen. Daher sollte diese Definition bzw. Zuordnung noch mal hinterfragt werden

[9] In die Verwaltungsvorschriften zu beiden Verkehrszeichen sollte sinngemäß folgende Klarstellung aufgenommen werden, um fußverkehrsfreundliche Gestaltung zu fördern: „Straßen, die mit Zeichen ... beschildert sind, dürfen von Fußgängern zwar in ihrer ganzen Breite benutzt werden; dies bedeutet aber nicht, dass auch Fahrzeugführern ermöglicht werden muss, die Straße überall zu befahren. Daher kann es im Einzelfall zweckmäßig sein, Flächen für Fußgänger zu reservieren und diese in geeigneter Weise (z. B. durch Poller, Bewuchs) von dem befahrbaren Bereich abzugrenzen" (alte Fassung der VwV-StVO zu Z. 325 bis 31.8.2009, Rn 5)

[10] Ad-hoc-Bericht, S. 29

[11] durch (redaktionell leider intransparente) Analogie zur eng verwandten Tempo-30-Zone

[12] FUSS e.V. fordert Begegnungszonen + „Spielstraßen“. In mobilogisch! 2/2009, S. 23

[13] Ohne eine Mischflächenregelung sind weich separierte Seitenbereiche reine Gehwege, die nicht von Fahrzeugen im Längsverkehr befahren werden dürfen; sie dürften daher auch nirgendwo als Engstellen-Ausweichraum für Begegnungsfälle zwischen Fahrzeugen eingeplant und betrieben werden, was aber in der Praxis häufig erfolgt.

[14] Vgl. Arndt Schwab: Mischflächen, Shared Space und Begegnungszonen. In mobilogisch! 2/2008, S. 42; www.strassen-fuer-alle.de → Vergleich

Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2022, erschienen.

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Fußverkehrsvorrang: Fahrzeugwartepflicht = Fußgängervortritt

Einer der häufigsten Irrtümer hinsichtlich der deutschen Verkehrsregeln ist die weitverbreitete Annahme, im Verkehrsberuhigten Bereich seien Geh- und Fahrverkehr gleichberechtigt. Das behauptet u.a. auch der Wikipedia-Artikel „Begegnungszonen“ (Stand 1.5.2022), ist aber falsch. Selbst viele Planer/innen und Polizist/innen sind hier irritiert, weil der Vorschriftstext indirekt und verwirrend verfasst ist.

In der Schweiz ist die geltende Verkehrsregel für das Zusammentreffen von Personen mit und ohne Fahrzeug bei der Begegnungszone klar und allgemeinverständlich als „Fussgängervortritt“ formuliert. In Deutschland gilt beim Verkehrsberuhigten Bereich juristisch das Gleiche, doch ist die entsprechende Wortwahl an der europäischen Mustervorlage (Zusatzvereinbarung zur Wiener Konvention) ausgerichtet: „Wer ein Fahrzeug führt, darf den Fußgängerverkehr weder gefährden noch behindern; wenn nötig, muss gewartet werden“ (StVO-Gebot zu Zeichen 325.1). Diese „negative“ Formulierung ist in der deutschen StVO üblich, um die Bevorrechtigungen einer Verkehrsart gegenüber der anderen auszudrücken. Den Fußverkehrsvorrang betreffend z.B.

  • beim Fußgängerüberweg, d.h. Zebrastreifen („wenn nötig, müssen … [Fahrzeuge] warten“; § 26 StVO),
  • beim Abbiegen von Fahrzeugen, wenn Zu-Fuß-Gehende queren („wenn nötig, ist zu warten“; § 9 StVO),
  • bei der Gehwegfreigabe durch Zusatzzeichen für eine andere Verkehrsart („wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten“; StVO-Gebot zu Zeichen 239).

Außer beim Fußgängerüberweg ist die Vorrangregelung vielen Verkehrsteilnehmer/innen unverständlich und daher nicht bewusst. Deshalb empfiehlt der FUSS e.V. dem Verordnungsgeber die Einfügung je einer Klarstellung in die StVO (z.B. Ergänzung eines Klammerzusatzes „Fußverkehrsvorrang“).

Warum auch die deutsche Begegnungszone Fußverkehrsvorrang braucht

In Anbetracht des Leitbildes der selbsterklärenden Straße muss die Begegnungszone mit Fußverkehrsvorrang verbunden sein. Sonst widersprechen sich Bau und Betrieb, d.h. Gestaltung und Verkehrsregelung. Da die Verkehrszeichen für den Beginn und das Ende der Regelung im Allgemeinen jeweils nur dort wo Fahrzeuge ein- und ausfahren aufgestellt werden, müssen Fußgänger/innen die Gestaltung der Straße lesen und verstehen können. Wenn eine Straße oder ein Platz anders als „normale“ Straßen aussieht und zum freizügigen Queren einlädt, sollte dem Fahrzeugverkehr aus Sicherheitsgründen die standardmäßige rechtliche Priorisierung entzogen werden.

Bei guter Straßenraumgestaltung verlangsamt ein Teil der Fahrer/innen intuitiv die Geschwindigkeit, was die Bereitschaft erhöht, auf den eigenen Vorrang zu verzichten. Höhere und dauerhafte Wirksamkeit ergibt sich, wenn ergänzend eine geschwindigkeitsbegrenzende Beschilderung vorhanden ist und/oder eine Regelung mit situativer Wartepflicht gilt (z.B. unbeschildertes „Rechts vor links“, „Zebrastreifen“ oder Zeichen 325.1).

Bei der absehbaren Umbeschilderung von Bestandsregelungen mit Zeichen 325.1 zu einer Begegnungszone ohne Fußverkehrsvorrang wird es sogar gefährlich: Die vergleichbare Situation der Aufhebung von „Zebrastreifen“und somit bisherigem Fußverkehrsvorrang zeigt, dass dies mit Unfallrisiken verbunden ist. Ein Teil der Zu-Fuß-Gehenden, insbesondere Personen mit visueller oder kognitiver Beeinträchtigung, nimmt die Veränderung nicht wahr und geht daher gewohnheitsmäßig weiterhin von eigener Bevorrechtigung aus.

Eine „Fußverkehrsnovelle“, die die bekannten und bewährten Quasi-Begegnungszonen in Speyer, Kevelaer, Duisburg, Brühl, Schwetzingen usw., bislang als Verkehrsberuhigte Bereiche betrieben, gefährdet oder verschlechtert, verdient ihren Namen nicht. Sie sollte doch den Fußverkehr fördern.

Die Bevorrechtigung des Fußverkehrs ist ein politisches Zeichen. Symbolische Bedeutung ist ein wichtiges planerisches und kommunalpolitisches Instrument. Beispielsweise hat die Einrichtung einer Fahrradstraße bzw. -zone mit Freigabe für den allgemeinen Kfz-Verkehr durch Zusatzschild ebenfalls überwiegend symbolische Relevanz. Verkehrsrechtlich besteht praktisch kein Zusatznutzen gegenüber einer normalen Straße mit einer Tempo-30-Regelung. In beiden Fällen gelten im Grundsatz die gleichen Verkehrsregeln bezüglich zulässiger Fahrzeughöchstgeschwindigkeit, Vorrangregelung und Nebeneinander-Radfahroption (vgl. § 2 Abs. 4 StVO). Trotzdem macht es Sinn, Fahrradstraßen einzurichten, etwa um ein durchgängiges Radfahrnetz zu schaffen. Gleichermaßen wirken Verkehrsberuhigte Bereiche und Begegnungszonen mit Fußverkehrsvorrang netzbildend. Denn bei Überquerung normaler Straßen ist der Fußverkehr grundsätzlich wartepflichtig gegenüber den Fahrzeugen, selbst bei den Verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen (Tempo-10- oder Tempo-20-Zonen). Das Netz der Fußverkehrsinfrastruktur ist stark verinselt, im Allgemeinen auf die Gehwege beschränkt. Verkehrsberuhigte Bereiche und echte Begegnungszonen sind verbindende Fußverkehrsinfrastruktur, die Österreichische Begegnungszone hingegen nicht wirklich. Das dortige Verkehrszeichen – abgeleitet aus dem französischen – visualisiert durch die gegenüber dem Original vergrößerte Kfz-Darstellung die „Gleich­berechtigung“. Das ist ein falsches Signal. Deshalb empfiehlt es sich bei der Adaption für Deutschland, die Größenverhältnisse aus dem französischen Schild zu übernehmen, das den Fußverkehr und somit seine (erforderliche) Priorisierung hervorhebt. Die Zu-Fuß-Gehenden sind i.d.R. diejenigen, die diesen Straßenraum bewusst nutzen – und nicht nur im Transit hindurch fahren.

Eine Begegnungszone mit Fußverkehrsvorrang ist wie ein unsichtbarer, aber wirksamer Zebrastreifen auf ganzer Zonenlänge. Das ist ein städtebaulich optimaler und wahrlich integrierter Ansatz, begünstigt er doch sowohl lineares Queren auch ohne Bereitstellung eines Mittelstreifens als auch bevorrechtigtes Queren ohne jegliche optische Beeinträchtigung der Oberflächengestaltung durch Zebrastreifen-Markierungen.

Österreich: Halbherziger Rechtsrahmen, doch gute Straßenraumgestaltungen

In Österreich ist es nicht gelungen, die 2013 eingeführte Begegnungszone mit dem international üblichen Standard des Fußverkehrsvorrangs auszustatten. „Das haben wir leider nicht geschafft“, bedauerte der wichtigste Fußverkehrslobbyist des Nachbarlandes, Dieter Schwab von walk-space.at, kurz nach der Einführung. Trotzdem ist die dortige Begegnungszonen-Regelung ein großer Erfolg: Es wurden etliche städtebaulich hervorragende Lösungen, insbesondere in Geschäftsstraßen und Ortsdurchfahrten, realisiert. Die bereits zuvor existierende „Wohnstraßen“-Schild, äußerlich unserem Verkehrszeichen 325.1 sehr ähnlich, bot im Gegensatz zu diesem keinerlei Spielraum dafür. In „Wohnstraßen“ galt und gilt nämlich ein Kfz-Fahrverbot; ausgenommen ist grundsätzlich nur Anliegerverkehr („das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens“).