Christian Haegele ist Abteilungsleiter für Verkehrsmanagement in der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz und damit zuständig für mehr als 2.000 Ampelanlagen. Das Interview mit ihm zeigt die Möglichkeiten, aber auch die teils engen Grenzen der Verkehrswende an Ampeln.

Interview zu den Problemen mit Ampeln aus Sicht einer planenden Behörde

? Die meisten Menschen zu Fuß fühlen sich an Ampeln gehetzt. Nach den Ampel-Richtlinien RiLSA sind Fußgängersignale oft so geschaltet, dass man ein Gehtempo von 1,2 Metern pro Sekunde braucht, um rechtzeitig drüben anzukommen. Das sind 4,3 Stundenkilometer – für viele Alte, Kinder, Behinderte zu viel.

! Wir weichen in Berlin zugunsten des Fußverkehrs von den Regelfällen der RiLSA ab und rechnen mit einem Gehtempo von nur einem Meter pro Sekunde für die Grünzeit. Und in der Grünzeit soll man bei dieser Geschwindigkeit nicht nur die Hälfte der Furt geschafft haben, sondern zwei Drittel. Danach kommt ja noch die Schutzzeit, in der zwar der Fußverkehr beim Überqueren eine rote Ampel sieht, aber die Fahrzeuge quer dazu noch kein Grün erhalten.

? Sie und ich wissen das. Aber viele andere sind immer wieder verärgert und verunsichert. „Das Grün ist viel zu kurz“ hören wir als häufigste Klage über Ampeln.

! Ich auch! Und da suche ich den FUSS e.V. auch als Verbündeten: Wie können wir vermitteln, dass ein kurzes Grün nicht die Sicherheit einschränkt, wenn die anschließende Schutzzeit lang genug ist?

? Das ist seit fast hundert Jahren nicht vermittelbar. Kein Wunder, denn „Rot“ heißt sonst strikt: Bleib stehen! In dieser Situation heißt es dagegen: Lauf weiter! Kommunikation kann aber nur aber scheitern, wenn das gleiche Signal gegensätzliche Botschaften vermitteln will. Übrigens auch Autofahrern: Sie biegen ab, sehen Menschen bei Rot gehen, und nicht wenige drängeln und hupen.

! Ja, daher bin ich auch der Meinung, dass wir etwas Anderes brauchen als die herkömmliche Signalgebung, auf jeden Fall mehr Optionen als bisher. Es gibt in Düsseldorf zum Beispiel Fußgänger-Gelb und in anderen Ländern grünes oder rotes Blinken. Aber das ist auch nicht immer eindeutig, zudem müsste man auf geändertes Bundesrecht warten. Ich werde bei der Leitung unseres Hauses für ein Modell werben, dass wir in Berlin seit 2013 als eine Art Dauer-Experiment unter anderem am Fehrbelliner Platz haben: fünf weiße Balken, die ähnlich aussehen wie ein Zebrastreifen und die in der Schutzzeit einer nach dem anderen ausgehen. Sie zeigen: Du kannst Deinen Weg regulär fortsetzen. Eine solche Signalisierung erfordert neue Kabel und Steuergeräte, aber man müsste dafür nicht auf geändertes Bundesrecht warten. Wir prüfen daher gerade, ob wir dies immer dann installieren können, wenn wir eine Anlage sowieso behindertengerecht umbauen und neue Verkabelungen für akustische Signalgeber und Anforderungstaster nötig werden. Wenn wir das zum Prinzip machen, könnten wir im Jahr derzeit etwa 10 bis 15 barrierefreie Ausbauten von bestehenden Knotenpunkten schaffen, zusätzlich zu den Neu- und Ersatzbauten, die grundsätzlich barrierefrei errichtet werden.

? Wer zu Fuß geht, hat nicht nur das kürzeste Grün, sondern auch am längsten Rot.

! Langes Grün bedeutet für die Querrichtung allerdings immer langes Rot – auch für den dortigen Fußverkehr. Aus meiner Sicht sind lange Grünphasen auch nicht per se sicherer, zum Beispiel gegenüber einbiegenden Fahrzeugen. Da ist es oft besser, wenn es eine Gruppe von Menschen gibt, die direkt beim Umschalten auf Grün startet. Kommt dann etliche Sekunden später ein einzelner Nachzügler, kann es gefährlich werden. Und es gibt beim Fußverkehr mit seinem gesunden Chaos ja auch kein Kapazitätsproblem – das nur Fahrzeuge haben, die alle hintereinander warten müssen. Wo viele Leute queren wollen, kann man meist einfach die Furt verbreitern. Im Extremfall auf mehr als 26 Meter wie an der Stelle, an der die Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße durch die Fahrbahn der Kantstraße unterbrochen ist. Dafür muss die Grünzeit nicht lang sein, sondern lieber kürzer, dafür öfter.

? Es soll also beim ewigen Warten bleiben? Das hält auf, macht viele ungeduldig und verführt manche, bei Rot zu gehen.

! Maßgeblich für Geduld oder Ungeduld ist aus meiner Sicht weniger die Wartezeit als die Verkehrsdichte und das Verkehrsgeschehen. Die Neigung zum Gehen bei Rot nimmt zu, wenn die Wartezeit als unnötig empfunden wird, etwa weil kein Fahrzeugverkehr zu sehen ist. Aber: Wartezeiten wollen wir in der Tat verkürzen, um das Zufußgehen zu fördern. Dazu plädiere ich an geeigneten Stellen eher für grundsätzlich kurze Umläufe. Das heißt, der ganze Zyklus aus Rot hier, Grün dort und umgekehrt, der wird in kürzerer Zeit durchlaufen. Das Gute: So erhält man auch zu Fuß rascher wieder Grün.

? Wird nicht mit raschem Rot-Grün-Wechseln alles noch hektischer?

! Gerade in Berlin haben doch viele, die an der Ampel stehen, ohnehin Hummeln im Hintern. Kurze Wartezeiten würden sie oft viel besser ertragen, ist meine These. Und wenn man, wie vorhin erklärt, mit einem speziellen Signal zeigt, dass noch Zeit zum Überqueren ist, dann wird vielleicht nicht nur die Grünzeit als Zeit für eine sichere Querung wahrgenommen. Wichtig ist, dass die Menschen die Gewissheit haben, es auch in mäßigem Tempo noch gut auf die andere Seite zu schaffen. Man könnte bei relativ kurzem Grün zum Beispiel auch die Schutzzeit noch verlängern. So werden nach meiner Einschätzung durchaus die Ziele erreicht, die mit dem Mobilitätsgesetz verfolgt werden sollen, jedoch angepasst an die maßgeblichen bundesweiten Bedingungen und eben mit einer Berliner Ausprägung.

? Ich dachte beim Thema Hektik jetzt eher an die Schwächeren, bei denen nicht Eile das Wichtigste ist, sondern Sicherheit und leidliche Ruhe.

! Mehr Sicherheit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen würde bedeuten, dass sie nach Möglichkeit nur beim Beginn der Grünzeit losgehen sollten, selbst bei großzügig bemessener Schutzzeit. Auch in diesem Sinne wäre es hilfreich, wenn es zwar kürzer, aber dafür häufiger Grün wird. Denn damit besteht schlicht häufiger die Möglichkeit, am Beginn der Grünphase zu starten.

? Diesen Leuten muss man also nicht nur beibringen: Rot nach fünf Sekunden heißt Weitergehen. Sondern auch: Kommt Ihr zum Bordstein und ist schon ein paar Sekunden Grün, heißt das: besser nicht gehen. Verwirrt das nicht noch mehr?

! Ich sehe immer wieder Leute, die das so praktizieren.

? Sehr ärgerlich ist es, bei Grün nur bis zur Mittelinsel zu kommen. Im Extremfall wartet man an einer Kreuzung viermal auf Grün. Berlins Mobilitätsgesetz sieht jetzt vor, das Queren in einem Zug zum Standard zu machen.

! Richtig, das Queren in einem Zug ist natürlich ein gutes Ziel - allerdings muss man dazu sagen, dass die Umsetzung nicht ganz leicht ist. Aus mehreren Gründen: Bei sehr breiten Straßen, wie es sie in Berlin nicht selten gibt, stößt man hier an Grenzen und wird ein sehr langes Grün nicht immer schalten können – sonst warten andere, auch der Fußverkehr, in der Querrichtung noch länger. Wie schon erwähnt, kann ein Zwischenhalt auf einer Mittelinsel zudem meist nur bei einem Start am Beginn der Grünphase vermieden werden. Bei vorhandenen Anforderungstastern sollten diese betätigt werden, weil die Anlage in vielen Fällen dann in diese Richtung ein „Durchlaufgrün“ schaltet. Überhaupt eröffnet uns eine verkehrsabhängige Steuerung auch beim Fußverkehr bessere Möglichkeiten für komfortablere Schaltungen. Gleichwohl gibt es eine Konkurrenz mit dem Fahrverkehr, zu dem ja auch Rad- und ÖPNV gehören. Vorrangschaltungen für Bus oder Tram können mitunter die Querungsbedingungen für den Fußverkehr verschlechtern. Bei sehr breiten Mittelstreifen kostet ein „Durchlaufgrün“ zudem sehr viel Zeit, so dass die Umlaufzeiten unter Umständen stark erhöht werden müssten. Weil auf breiten Mittelinseln zugleich das Warten als weniger unangenehm empfunden wird, dürften an solchen Stellen weiterhin Kompromisse nötig sein.

? Wie soll eine verkehrsabhängige Steuerung funktionieren – mit Induktionsschleifen wie unter der Fahrbahn?

! Solche Schleifen funktionieren beim Fußverkehr nicht. Radar und Wärmedetektoren haben wir gerade in der Erprobung. Aber alle Systeme haben Grenzen, und das liegt am schon erwähnten gesunden Chaos im Fußverkehr. Geht jemand auf eine Ampel zu, ist oft nicht klar: Will er rüber, will er zur Haltestelle nebenan oder biegt er kurz vorher doch noch ab? Detektoren brauchen eher größere Fußgängerströme mit einer klaren Richtung.

? Und wenn es die nicht gibt?

! In manchen Fällen ist tatsächlich der Anforderungsknopf noch immer die beste Lösung, eventuell auch nur als Rückfallebene, wenn eine andere Erkennung scheitert. Natürlich muss es dann Grün in angemessen kurzer Zeit geben.

? Ein chronisches Sicherheitsproblem an Ampeln sind die die sogenannten bedingt verträglichen Schaltungen, im Klartext: Während man zu Fuß Grün hat, haben Abbieger das auch und fahren auf die Fußgänger zu. Kann und muss man das nicht entzerren, indem entweder nur Gehende oder nur Fahrende Grün haben?

! Das funktioniert vor allem an sehr großflächigen Knoten mit viel LKW-Verkehr und dort, wo bei großen Kurvenradien schnell abgebogen werden kann. Auch wenn Abbieger ohnehin warten müssen, bis zum Beispiel eine lange Kette von Radfahrenden durch ist, können sie das auch bei Rot statt bei Grün. Aber es bleiben viele Kreuzungen, die räumlich limitiert sind, wo es keinen Platz für einen Rechtsabbiegestreifen gibt. Problem: Bei getrennter Signalisierung warten letztlich alle länger, auch Fußgängerinnen und Fußgänger. Und wenn das an einer wenig befahrenen Kreuzung geschieht, wo lange Zeit niemand um die Ecke kommt, dann sinkt die Bereitschaft, bei Rot stehen zu bleiben, rapide.

? Muss man mit dem Abbiege-Risiko leben?

! An allen Kreuzungen ohne Ampeln muss man das ja ohnehin. Das Risiko sollte vermindert werden– mit der neu eingeführten Pflicht zum Schritttempo für große Fahrzeuge wurde das Richtige entschieden. Auch Assistenzsysteme können eine Unterstützung bieten. Aber das Wichtigste bleibt die Aufmerksamkeit im Verkehr: Es muss allen Fahrerinnen und Fahrern von Kraftfahrzeugen bewusst sein, dass das Abbiegen immer ein Hochrisikovorgang ist. Wenn ein Teil der Kreuzungen signaltechnisch abgesichert ist, macht das manche vielleicht auch sorglos. Die Erfahrungen aus Städten mit wenigen Unfällen, zum Beispiel Kopenhagen, sprechen für sich: Da sind fast alle Knoten einfach gestaltet und geschaltet – nämlich ohne getrennte Signalisierung. Das vermittelt stets die Botschaft: Egal, wo du abbiegst – pass immer auf! Das ist eine Grunderkenntnis der Verkehrssicherheit: Verkehrsteilnehmende sollten nicht das Gefühl entwickeln, dass sie an jeder heiklen Stelle abgesichert werden. Nein, umgekehrt: Jeder muss immer gucken.

? Also vergessen wir besser komplett den Merksatz „Bei Grün kannst du gehen“?

! Das würde ich sicherheitshalber erweitern: „Bei Grün kannst du gehen, wenn die Autos stehen.“

? Wälzt das nicht die Pflicht, die Fahrer mit Führerscheinen haben, auf Leute ab, die kaum Überblick haben können – viele Alte, Kinder, Sehbehinderte zum Beispiel?

! Es gibt eine besondere Sorgfaltspflicht für Kraftfahrer, weil von ihnen eine besonders große Gefahr ausgeht. Es ändert sich auch nichts an der Schuld oder Vorwerfbarkeit bei Verstößen. Weil aber alle Menschen Fehler machen können, schadet eigene Vorsicht nicht.

? Und Ihr Beitrag? Sind nicht Sie zum Schaffen einer Infrastruktur verpflichtet, die Fehler verzeiht?

! Es trifft mich mitunter persönlich, wenn auf Mahnwachen für Verkehrstote gesagt wird: Die Infrastruktur ist schuld, die Verantwortlichen tun nichts. Denn das stimmt einfach nicht: Es wird schon viel getan, und ich setze mich persönlich für diese Veränderungen ein. Trotzdem gilt es – und das wird ja hier auch an vielen Punkten deutlich – zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen. Selbst wenn man eine möglicherweise ideale Infrastruktur gefunden hätte, lassen sich nicht Straßen von heute auf morgen umbauen, die in vielen Jahrzehnten nach anderen Maßstäben geschaffen wurden. Und auch dann ließe sich nicht jedes Fehlverhalten abfedern. Wie soll ich mit Infrastruktur verhindern, dass jemand bei Rot über die Ampel fährt?

? Manches ließe sich rasch machen. Es gibt in Berlin zum Beispiel Straßen mit zwei Rechtsabbiegespuren. Da biegt dann die eine ab, sieht jemanden zu Fuß queren und hält. Die andere sieht ihn nicht fährt ihn an. Darum sind die zwei Abbiegespuren nach der RiLSA schlicht verboten.

! Richtig, das gibt es leider noch, und es sind kritische Ecken darunter. Wir haben jetzt alle systematisch identifiziert und werden das stringent entschärfen.

? Nach der amtlichen Unfallstatistik hatten zwei Drittel der Menschen zu Fuß, die an Ampeln angefahren werden, Grün und verhielten sich korrekt. Zeigt das nicht, dass Ampeln grundsätzlich unsicher sind – gerade auch, weil sie eine nicht bestehende Sicherheit suggerieren?

! Wir sind damit wieder bei der Frage, wo Infrastruktur an ihre Grenzen stößt. An Ampeln ist bei vielen Verkehrsteilnehmenden das Vertrauen in die Technik stark ausgeprägt, das kann auch ein Problem sein. An großen Knoten und Hauptverkehrsstraßen geht es dennoch nicht ohne Ampeln. Anderswo aber oft doch: Wo immer möglich, plädiere ich für Fußgängerüberwege, also „Zebrastreifen“. Sie sind ein hervorragendes Instrument – es gibt keine Wartezeiten, sie sind sehr flexibel einsetzbar und können auch gut über eine Straße verteilt werden. Nicht zuletzt erhöhen sie die Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer – die wichtigste Voraussetzung für mehr Sicherheit. Hier muss ich nochmals den Hinweis unterbringen, dass sich Zufußgehende stets überzeugen sollten, dass der Fahrverkehr ihren Vorrang auch wirklich beachtet und anhält. Dass natürlich die Pflicht zur Vorsicht und zum Anhalten gleichwohl beim Fahrverkehr liegt, ist aber auch ganz klar.

? Wo es weiter Ampeln gibt, kann Rundum-Grün gleich zwei Probleme lösen. Es gibt keine roten Fußgänger-Wellen mehr, es drohen keine Konflikte mit Abbiegern und man kurze diagonale Wege.

! Das klingt zunächst gut. Aber ich habe mal in der Friedrichstraße in der Nähe von Berlins einziger Anlage gearbeitet, die nach diesem Prinzip funktioniert. Ich war dort sehr häufig: Als Fußgänger hat mich immer gestört, dass ich länger warten musste. Die diagonale Querung, die auf diese Weise möglich wird, ist der seltenste Anwendungsfall – aber für die vielen, die einfach nur über eine Fahrbahn wollen, dauert es länger. Es mag seinen Charme haben. Aber meistens dürfte eine Anlage mit kurzem Umlauf besser sein, weil die Wartezeit für den Großteil der Menschen geringer ist.

? Und die Konfliktfreiheit?

! Besteht vor allem in der Theorie. Ich habe selten so viele Leute wie an dieser Rundum-Grün-Kreuzung gesehen, die bei Rot gehen. Wegen der langen Wartezeit werden sie ungeduldig und denken offenbar: Wenn die Fahrzeuge quer zu mir halten und die parallelen Fahrzeuge starten können – warum dann nicht ich? Und schon gibt es einen Rechtsabbiegerkonflikt.

? Und kurze Wartezeiten sind nicht möglich?

! Nur mit starken Fahrzeug-Rückstaus, womöglich bis in die nächsten Ampelfurten hinein. Das betrifft dann auch ÖPNV und Radverkehr. Fuß- und Radverkehr würde ich bei einen „Rund-um-Grün“ nämlich keinesfalls mischen wollen. Auch das passiert übrigens verbotenerweise an der Friedrichstraße.

? Zum nächsten Mangel: den vielen Kreuzungen, die nur an drei Seiten Ampeln haben, an der vierten nicht. Da soll man dann dreimal bei Rot warten, um über eine Fahrbahn zu kommen. Ich habe es bei mir um die Ecke ausgemessen: Für 15 Meter braucht man bis zu zweieinhalb Minuten.

! Wo ein Querungsbedürfnis angenommen werden kann, wird so etwas nicht mehr geplant. Und wo im Bestand eine Ampelanlage angefasst wird, ändern wir das nach Möglichkeit. Es gibt aber Knoten, die dafür aufwendig umgebaut werden müssten. Da sehe ich in vielen Fällen keine kurzfristige Chance für Anpassungen.

? Ein chronisches Ärgernis für uns sind Blech-Grünpfeile. Ihre Folge: Andere haben Rot und fahren. Wir haben Grün, sind gefährdet und kommen oft nicht rüber.

! Beim Kfz-Verkehr halte ich Grünpfeile nicht für sinnvoll. Wir sollten die Grundregel der Ampel nicht aufweichen: Rot heißt Rot. Solche Pfeile soll es in Berlin künftig nur noch dort geben, wo gar kein Fußverkehr stattfindet – also an Autobahnausfahrten oder in Gewerbegebieten zum Beispiel. Beim Radverkehr kann ich mir in Einzelfällen positive Effekte vorstellen, aber nicht en gros. Man muss den Grünpfeil sehr vorsichtig einsetzen – am besten nur da, wo es ohnehin wenig Fußverkehr gibt.

? Wenn es Grünpfeile für Fahrende gibt, warum nicht auch für Gehende, wo die Situation übersichtlich ist?

! Da sehe ich wenig Anwendungsmöglichkeiten: Rot sollte auch hier Rot bleiben. Beim „Abbiegen nach rechts“ muss sich der Fußverkehr ja auch nicht mit Ampeln auseinandersetzen, wenn die Straßenseite nicht gewechselt wird.

? Zuletzt zur Ampel, die nicht den Fahrzeug-Fluss optimieren, sondern ihn begrenzen soll: der Pförtnerampeln, die nur so viele durchlässt, wie für den Raum dahinter verträglich sind.

! Wo mehrere Knoten aufeinander abgestimmt werden, ist eine Pförtnerfunktion Teil der verkehrstechnischen Betrachtung. Aber man muss dann immer auch die Überstauung des Nachbarknotens verhindern. Insgesamt ist eine Mengenregulierung durch Pförtnern leichter gesagt als getan. Denn wo konsequent gepförtnert wird, muss an mindestens einer Stelle der Stau in Kauf genommen werden. Doch wo soll das sein? Irgendwo in der Stadt oder besser am Stadtrand, so dass es den Vorort trifft? Zudem gibt es nicht überall Raum für Bussonderstreifen oder eigene Tramtrassen, um die Pförtnerung zu umgehen. Da steht dann eben auch der ÖPNV im Stau. Und schließlich kommen nicht alle stets aus der gewünschten Richtung, sondern auch aus Querstraßen, oft ohne Ampeln. Denn wenn an einer Stelle gepförtnert wird, sucht sich der Verkehr andere Wege.

? Die Katze beißt sich in den Schwanz: Weil man nicht pförtnert, fahren da so viele. Und weil so viele fahren, kann man nicht pförtnern.

! So ist es: Ohne eine deutliche Reduzierung der Kfz-Menge wird das alles nichts. Das funktioniert aber – besser als durch Ampeln – über eine angemessene und sachlich begründete Aufteilung des Verkehrsraums. Wer mit einem Kfz fährt, sollte erkennen: Da ist jetzt ein Bussonderstreifen, da ist ein Radfahrstreifen – und auf beiden kommen deutlich mehr Menschen schneller voran. Eine Ampelschaltung muss ich gar nicht ändern, wenn man im Bus oder auf dem Rad mehrere Phasen früher durchkommt als im Auto. Daher ist eine gerechte Verkehrsraumaufteilung wichtig.

 

Dieser Artikel von Roland Stimpel ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2022, erschienen.

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