In einem Studienprojekt untersuchten wir die Qualität von Querungsstellen über die Nebenstraßen eines typischen Berliner Gründerzeitkiezes. Hervor ging ein systematisches Bewertungsschema, das sich auch auf Querungsstellen andernorts anwenden ließe – der „Querungsstellen-Qualitäts-Index“ (QQI). Die Ergebnisse weisen nach: Es besteht großer Handlungsbedarf zur Erleichterung der Querungssituation.

Die Querungsstelle ist zugeparkt. Wie sollte ich jetzt über die Straße kommen, wenn ich im Rollstuhl säße? Für mich ist es „nur“ ein Ärgernis, doch für jemand Anderes ein ernstes Problem. Die Qualität von Querungsstellen lässt vielerorts nicht nur sehr zu wünschen übrig, sie schließt schlicht Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe aus. In einem Studienprojekt am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin analysierten ein Kommilitone und ich die Qualität von Querungsstellen. Denn systematische Untersuchungen mit dem Ziel der Bewertung von Querungsstellen können dazu dienen, eine solide Argumentationsgrundlage in der (lokalen) Verkehrspolitik und -planung zu gewinnen.

Untersuchungsgebiet

So schauten wir uns den Brüsseler Kiez in Berlin-Wedding an, ein typisches Gründerzeitviertel mit fünfgeschossiger Blockrandbebauung, vielen Geschäften und Restaurants in den Erdgeschossen, einer Schule, Kitas, einem kleinen Park, einer guten ÖPNV-Anbindung und einer sehr diversen Bevölkerung. Wir wollten wissen: Wie gut können Zufußgehende hier über die Nebenstraßen kommen? Nicht, dass das Queren von Hauptverkehrsstraßen im Alltag kein Problem wäre. Wir wollten unseren Blick in dieser Arbeit jedoch auf die Nebenstraßen richten, da sich hier ein großer Teil des nachbarschaftlichen Lebens abspielt.

Was ist überhaupt eine Querungsstelle? Im untersuchten Kiez wie auch in den meisten anderen städtischen Räumen ist der Straßenraum gegliedert in seitliche Gehwege sowie eine mittige, vom Fahrzeugverkehr dominierte Fahrbahn inklusive Parkstreifen. Hier sind Querungsstellen die Stellen baulicher Ausprägung, an denen der Fußverkehr regelmäßig die Fahrbahn queren kann und soll. Was gehört zur Qualität von Querungsstellen aus Sicht des Fußverkehrs? Zuerst müssen Querungsstellen dort vorhanden sein, wo sie erforderlich sind: also über alle Straßen an einer Kreuzung oder Einmündung sowie im Straßenzug mindestens alle 150 Meter(1). Des Weiteren müssen Querungsstellen barrierefrei und sowohl objektiv als auch subjektiv verkehrssicher sein, und sie müssen eine möglichst hohe Annehmlichkeit für alle Zufußgehenden gewährleisten – also zum Queren einladen.

Entwicklung und Gewichtung von Indikatoren

Vor dem Hintergrund einer passenden Lage, der Barrierefreiheit, objektiver und subjektiver Verkehrssicherheit sowie einer möglichst hohen Annehmlichkeit versuchten wir, konkrete Indikatoren zu entwickeln, an denen die Qualität der Querungsstellen abgelesen werden kann. Wir überlegten und recherchierten, welche Ausprägungen für die Indikatoren alle möglich sind, um nicht nur die Querungsstellen innerhalb des Brüsseler Kiezes miteinander vergleichen zu können, sondern auch mit Querungsstellen andernorts sowie einer „idealen“ Querungsstelle. Letztendlich konnten wir 14 Indikatoren mit einer Vielzahl an Ausprägungen ausmachen. Dabei orientierten wir uns nicht nur an den allgemeinen technischen Richtlinien und Empfehlungen und den für Berlin geltenden Vorschriften, sondern auch etwa am „Leitfaden Barrierefreiheit“ aus NRW. Wir trafen uns auch mit Stefan Lieb vom FUSS e. V., um das Vorgehen abzusprechen.

Die Qualität von Querungsstellen kann nur anhand der Bedürfnisse und Ansprüche verschiedener Personengruppen bewertet werden. Hierfür bildeten wir sechs zusammenfassende Gruppen: Personen mit Rollstuhl; mit Gehhilfe oder Kinderwagen; mit Sehbehinderung (unterschiedlichen Grades); mit kognitiven Beeinträchtigungen; Kinder oder Personen geringer Körpergröße; „durchschnittliche“ Zufuß­gehende. Für die 14 Indikatoren versuchten wir zu ergründen, welche Bedeutung der jeweilige Indikator für die verschiedenen Personengruppen hat. Um eine Einstufung der Relevanz vorzunehmen, mussten wir jedem Indikator eine für alle Personengruppen angenommene beste Ausprägung zuweisen.

Dann wurde geschaut: Wie relevant ist der Indikator für die einzelnen Personengruppen? Aus der Summe der Relevanzeinstufungen pro Indikator ergab sich dessen maximale Punktzahl und damit eine Gewichtung der Indikatoren untereinander. Dabei wurden alle Personengruppen gleichwertig betrachtet. Gern hätten wir diese zentrale Wertsetzung möglichst partizipativ gestaltet, aus Gründen der Leistbarkeit konnten wir hierfür lediglich Annahmen aus den oben genannten Quellen sowie aus mehreren Gesprächen mit Menschen im Kiez treffen.

Wie hoch soll der Bord sein?

Bei der Frage nach der Bordhöhe trat ein erwartbarer Konflikt auf: Während Personen mit Rollstuhl, mit Gehhilfe oder Kinderwagen einen möglichst ebenen Übergang brauchen, bedürfen Personen mit Sehbehinderung eine ertastbare Kante, um zu erkennen, dass sie die Fahrbahn betreten bzw. wieder verlassen. In Berlin hat es sich daher etabliert, den Bord einfach auf 3 cm Höhe abzusenken – ein Kompromiss. In NRW und andernorts wird dagegen ein höherer Aufwand betrieben: Auf etwa der halben Breite der Querungsstelle wird der Bord komplett eingesenkt, während auf der anderen Hälfte ein 3 bis 6 cm hoher Bord verlegt wird. Zu diesem Bereich führen taktile Platten. Diese sogenannte „Doppelquerung“ wird auch für Berlin diskutiert und wurde von uns als Ideallösung angesehen, die daher beim Indikator Bordhöhe die maximalen Punktzahl erreicht.

Eine andere gute bauliche Lösung stellt die sogenannte Gehwegüberfahrt dar. Hierbei queren Zufußgehende nicht die Fahrbahn, sondern Fahrzeuge kreuzen einen über die Straße gezogenen Gehweg. Zufußgehende haben rechtlich gesehen Vorrang, auch aus diesem Grund überqueren sie auch keinen Bordstein. Daher bekam die Gehwegüberfahrt in unserem Verfahren nur viele Punkte, wenn taktile Platten vorhanden waren. Diese weisen Personen mit Sehbehinderung darauf hin, dass sie einen Bereich betreten, in dem sie zwar Vorrang haben, Fahrzeuge aber regelmäßig kreuzen.

Die drei wichtigsten Indikatoren

Neben weiteren wichtigen Indikatoren wie der Kfz-Verkehrsbelastung, der Beleuchtung oder auch der Ebenheit des Fahrbahnbelags an der Querungsstelle schlossen wir aus der Personengruppen-Gesamtbetrachtung, dass drei bauliche Einrichtungen zur Verkehrsberuhigung, das Vorhandensein einer Gehwegvorstreckung („Gehwegnase“) und die Sichtverhältnisse entscheidend sind. Verkehrsberuhigungsmaßnahmen wie Aufpflasterungen, schmale Fahrbahnen oder enge Eckausrundungen an Kreuzungen sorgen dafür, dass der Kfz-Verkehr mit angepasster Geschwindigkeit und aufmerksam unterwegs sein muss. Eine Gehwegvorstreckung bis an die Fahrgasse unterbindet illegales, den Fußverkehr blockierendes und sichtbehinderndes Halten und Parken, insbesondere wenn sie mit Pollern oder Fahrradbügeln als Parksperren versehen ist. Die Gehwegvorstreckung verkürzt überdies die Querungsstrecke (ein weiterer, wichtiger Indikator) und vergrößert den Gehwegbereich für den Aufenthalt.

Die Sichtverhältnisse zu untersuchen war die Crux am Projekt. Dass Zufußgehende und Autofahrende sich an Querungsstellen gegenseitig rechtzeitig erkennen können, ist für die Verkehrssicherheit elementar. Hierfür gibt es Vorgaben innerhalb welcher Strecken im Abstand zur Querungsstelle Sichtbehinderungen wie parkende Kfz, Werbetafeln oder dichte Bepflanzungen ausgeschlossen werden müssen – diese gelten jedoch nur auf gerader Strecke.

Was jedoch abbiegende Fahrzeuge betrifft, so geben die Richtlinien keine konkrete Regel vor. Wir wurden daher kreativ und prüften zuerst, ob die Eckausrundung von Sichtbehinderungen freigehalten wurde. Dann schauten wir uns die Querungsstelle über die Straße an, aus der die Fahrzeuge jeweils kommen, wenn sie rechts oder links abbiegen. Wird also beispielsweise die rechte Seite vor einer Querungsstelle freigehalten, so ist davon auszugehen, dass auch die Sichtbedingungen für die rechtsabbiegenden Fahrzeuge auf die rechts liegende Querungsstelle gut sind (bei ebenfalls freigehaltener Eckausrundung). Wir nahmen übrigens eine „Geeignetheit der Maßnahmen zur Sichtfreihaltung“, wie sie die technischen Regelwerke fordern, nur dann an, wenn das Parken durch bauliche Maßnahmen unterbunden wurde – eine reine Halteverbotsanordnung reicht zumindest in Berlin leider nicht aus.

Erfassung und Ergebnisse

Nachdem wir unser Bewertungsverfahren aufgestellt und einige Probe-Anwendungen gemacht hatten, ging es zwei Tage lang auf die Straße. Mit Klemmbrett, Tabellen und Maßband erfassten wir Querungsstelle für Querungsstelle anhand der 14 Indikatoren. Konnten zum Beispiel beim Indikator „Vorstreckung“ aufgrund der personengruppenspezifischen Gewichtung maximal 36 Punkte erreicht werden, so vergaben wir pro Gehwegseite 14 Punkte für eine Vorstreckung 0,30 bis 0,70 Meter über die Tiefe der Parkstände hinaus, 10 Punkte für eine Vorstreckung über die Tiefe der Parkstände oder 2 Punkte, wenn ein Halteverbot nur durch Fahrbahnmarkierungen hervorgehoben war. 4 Extra-Punkte gab es, wenn Parksperren (Poller, Fahrradbügel) vorhanden waren. In diesem Prinzip gingen wir für alle Indikatoren vor.

Schlussendlich hatten wir Daten von 51 Querungsstellen gesammelt, die wir in unserem Kiez vorfanden. An mindestens elf Orten fehlten Querungsstellen, also an Kreuzungen oder in Straßenzügen mit Querungsstellen-Abständen von über 150 Metern. Die erfassten Querungsstellen trugen wir dann mit einem GIS-Programm in eine Karte ein, diese verknüpften wir mit den Tabellenwerten. Für die Darstellung wählten wir die Summe aller Indikator-Punkte einer Querungsstelle – den „Querungsstellen-Qualitäts-Index“ (QQI). Für einen hohen QQI hätte eine Querungsstelle eine grüne Farbe bekommen, für einen niedrigen eine rote, mit Abstufungen dazwischen.

Leider kam keine Querungsstelle über ein ganz leichtes Hellgrün hinaus – mit gerade einmal 185 von 323 höchstens erreichbaren Punkten. Diese beste Querungsstelle ging über zwei relativ schmale Richtungsfahrbahnen mit ebenem Belag und einem breiten Mittelstreifen dazwischen, besaß Vorstreckungen (allerdings nur über die Tiefe der Parkstände) mit Parksperre und hielt die Vorgaben für die Sichtfreihaltung als einzige (!) komplett ein. Unter anderem fehlten aber verkehrsberuhigende Maßnahmen, eine Doppelquerung, taktile Platten oder auch ein Zebrastreifen, um mehr Punkte zu erhalten.
Die Querungsstellen über die Einmündungen von Nebenstraßen in Hauptverkehrsstraßen schnitten durchschnittlich besser ab als die Querungsstellen tiefer im Kiez. Dies lag an den zumindest für abbiegende Fahrzeuge oft konsequent eingehaltenen Sichterfordernissen, ebenen Fahrbahnbelägen und vorhandenen Ampeln. Neben einigen Ausnahmen schnitten viele Querungsstellen dagegen ziemlich verheerend ab: Zu hohe Borde, vor denen Autos parken, Fahrbahnbreiten von teils über 13 Metern, hohe Geschwindigkeiten trotz buckeligen Kopfsteinpflasters – von taktilen Platten oder einer Beleuchtung bei Dunkelheit ganz zu schweigen. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. Besonders erschreckend: In unmittelbarer Nähe zu der Kreuzung, die die schlechteste Gesamtbewertung von allen erhielt, befinden sich eine Schule und eine Kita.

Unsere Ergebnisse haben wir der lokalen „Bürgerinitiative Brüsseler Kiez“, die sich insbesondere für lebensfreundliche Straßenräume einsetzt, zukommen lassen. In der Diskussion mit Politik und Verwaltung könnte unsere Arbeit als Argumentationsgrundlage dienen. Wir hoffen, dass der Querungsstellen-Qualitäts-Index auch von anderen Akteuren – vielleicht Ihnen – eingesetzt und weiterentwickelt sowie eines Tages gar standardisiert und institutionalisiert wird.

Eine letzte Einsicht ist uns noch wichtig mitzuteilen: Eine schlechte Querungsstelle sollte nicht nur dazu anleiten, nur dort bauliche Verbesserungsmaßnahmen vorzunehmen. Vielmehr sollte gerade eine Häufung schlechter Querungsmöglichkeiten Anlass bieten, grundsätzlich neue Ideen für den Straßenraum zu entwickeln: Könnte nicht ein verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen, die gesamte Breite eben und ansprechend gepflastert(2), die Fahrbahn auf ein Mindestmaß verschmälert und abgepollert, Parkplätze reduziert und der Durchgangsverkehr durch modale Filter ausgeschlossen werden? Könnten nicht ehemals vom Autoverkehr dominierte Kreuzungen zu kleinen Stadtplätzen umgewandelt werden, an denen man sich gerne aufhält und trifft? Um für solche Straßenräume der Zukunft politische Argumentationsgrundlagen in der Hand zu halten, bedarf es in unserer zahlenfixierten Gesellschaft jedoch auch quantifizierter Bestandserhebungen – hierzu hoffen wir einen Beitrag zu leisten.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Diese Angabe stand in den Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) von 1985. Der Wert wird heute von FUSS e. V. wieder gefordert. www.geh-recht.de/querungsanlagen 

(2) Den Bedürfnissen nach Orientierung von Personen mit Sehbehinderung muss dabei natürlich Rechnung getragen werden, etwa durch kontrastreiche Pflasterung und taktile Platten an den vorgesehenen Haupt-Querungsstellen.

Die Studie kann unter www.umkehr-fuss-online-shop.de → Kostenlose Downloads → Themen-Websites → Geh-Recht heruntergeladen werden.