Mit dem Urteil vom 27.02.2018 hat das Bundesverwaltungsgericht mit einigen Ausnahmen bestätigt, dass streckenbezogene Fahrverbote, die durch Städte und Kommunen erlassen werden, zur Luft­reinhaltung rechtlich zulässig sind. Damit wurden die Urteile der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart bestätigt, dass ausschließlich Fahrverbote über ausreichend Schadstoffminderungspotenzial verfügen, die existierenden Grenzwerte einzuhalten. Was bei den Urteilen häufig aus dem Fokus gerät: Es wurde in Stuttgart auch die Frage der Verhältnismäßigkeit geklärt. In der Abwägungsfrage zwischen den Rechtsgütern Leben und Gesundheit gegenüber Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit wurde zugunsten ersterer entschieden (vgl. Punkt 5.2.4 der Urteilsbegründung VG Stuttgart, 13 K 5412/15).

Durch das Urteil wurde auch die Verkehrspolitik der vergangenen Jahre implizit als nicht gesetzeskonform erklärt. Hier wurde – und wird nach wie vor – in der zu klärenden Abwägungsfrage gegenteilig entschieden. So konnte die Bundesregierung trotz mehrmaliger Initiativen nicht die Gesetzesgrundlage für die „Blaue Plakette“ schaffen, welche die Klagen der Deutschen Umwelthilfe obsolet gemacht hätten. Die bundespolitische Entscheidung gegen wirksame Maßnahmen bedeutet damit auch, dass die Gesundheit von schadstoffbelasteten Personengruppen gegenüber der Handlungsfreiheit von Dieselautofahrenden immer noch nachgeordnet wird.

Dass sich von bundespolitischer Seite an diesem Zustand auch kurzfristig nichts ändern wird, lässt die vorletzte Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel erwarten, in der sie bekräftigt: „Flächendeckende Fahrverbote lehnen wir ab. Wir brauchen vielmehr maßgeschneiderte Lösungen für die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Kommunen“ (RegErkl vom 21. März 2018). Damit wird die „Blaue Plakette“ als bundesweit einheitliche Lösung explizit abgelehnt, während den derzeit einzig wirkungsvollen „maßgeschneiderten Lösungen für [...] Kommunen“, nämlich den streckenbezogenen Fahrverboten, implizit zugestimmt wird. Die Bundespolitik hat sich damit aus Debatte um die momentan drängendste Frage der städtischen Verkehrsplanung vorerst zurückgezogen.

Fahrverbote – Handlungsmacht für Kommunen

In der Konsequenz liegt die verkehrspolitische Verantwortung – aber auch die Handlungsmacht – nun verstärkt im Feld der Kommunen. Sie müssen die „maßgeschneiderten Lösungen“ selbst erarbeiten, um die Emissionsgrenzwerte in Zukunft einzuhalten. Hierzu haben zivilgesellschaftliche Akteure, und dabei insbesondere die Deutsche Umwelthilfe, durch ihre Klagen Rechtsicherheit für die Kommunen gegenüber dem Bund geschaffen. Zusätzlich wurde der verkehrsplanerische Spielraum auf kommunaler Ebene stark erhöht.

Dennoch können die Urteile aus Sicht der integrierten Verkehrsplanung nicht uneingeschränkt positiv bewertet werden. Die singuläre Maßnahme von streckenbezogenen Fahrverboten widerspricht dem Anspruch einer strategischen Verkehrsplanung. Es werden punktuelle Einschränkungen ad-hoc aufgesetzt, die weder Parallelstraßen, Stadt-Umland-Beziehungen noch andere Verkehrsmodi berücksichtigen. Darüber hinaus verfolgt die Maßnahme kein langfristiges Ziel, das über den Anspruch der Einhaltung von Grenzwerten hinausgeht. Die Personengruppe der Dieselautonutzenden scheint dabei zufällig gewählt. Demgegenüber verfolgt eine integrierte Verkehrsplanung den Anspruch, die Abhängigkeiten von Infrastruktur, Verkehr und Mobilität zu berücksichtigen und dabei neben den Umweltzielen auch soziale und ökonomische Interessen zusammenzuführen.(1)

Fahrverbote als Wegbereiter einer integrierten Verkehrsplanung

Wie sollten also Kommunen und Zivilgesellschaft mit der neuen Ausgangslage umgehen? Welche Schritte sind zu unternehmen, damit die Klagen der DUH nicht nur in kurzfristigen Fahrverboten münden, sondern insgesamt zu einer zukunftsfähigen und zielorientierten Verkehrspolitik führen? Idealerweise sollte dabei von kommunaler Seite ein Verkehrssystem hergestellt werden, welches zukünftige Klagen antizipiert und gleichzeitig die Erreichung von Umweltzielen an weitere kommunale Ziele koppelt.

In Beantwortung auf die oben aufgeworfenen Fragen hat das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung auf Basis eines mehrjährigen Forschungsprozesses Konzepte und Strategien für die deutsche Verkehrspolitik erarbeitet. Mithilfe von Experteninterviews und einer SWOT-Analyse konnten Handlungsempfehlungen für 14 Akteursgruppen erarbeitet werden.(2) Abgeleitet aus den erarbeiteten Handlungsempfehlungen für die identifizierten Akteursgruppen Kommunalpolitik und Verkehrsumwelt lassen sich auch Antworten auf den Umgang mit den anstehenden Straßensperrungen geben. Die Antworten sind im Kern darauf gerichtet, die Fahrverbote auf Ebene der Integrierten Verkehrsplanung zu heben. Hierzu wird zunächst kurz die Ausgangslage für die Akteursgruppe geklärt, ehe die ausgesprochenen Handlungsempfehlungen in Bezug auf die neue Situation konkretisiert werden.

Ausgangslage der Kommunalpolitik

Im vorangegangenen Forschungsprojekt wurde gezeigt, dass die Kommunalpolitik in der Regel durch einen Mangel an Geld, Zeit und verkehrspolitischer Expertise geprägt ist. Gleichzeitig sind verkehrspolitische Entscheidungen stark abhängig von öffentlicher Wahrnehmung und persönlicher Betroffenheit der kommunalpolitischen Entscheidungsträger. Aufgrund der heterogenen Strukturen von Kommunen (Stadt-Land-Gegensatz, Haushaltsnot etc.) sind die strategischen Ziele individuell verschieden, wobei strategische Ziele der Kommunalpolitik häufig durch wirtschaftspolitische Entscheidungen beeinflusst werden.

Für die neu zugesprochene verkehrspolitische Verantwortung bedeutet diese Feststellung zunächst keine besonders positive Ausgangslage. Die mit der Verantwortung einhergehende verkehrspolitische Gestaltungsmacht kann bisher noch nicht konstruktiv genutzt werden. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass von politischer Seite betont wird, dass man Fahrverbote zwar verhindern will, dieser Forderung jedoch keine anderen wirkungsgleichen Ziele oder Konzepte entgegengestellt werden. Die Negierung verkehrspolitischer Zielansprüche geht dabei teilweise soweit, dass sogar die Grenzwerte selbst in Frage gestellt werden.

Handlungsempfehlungen für die Kommunalpolitik

Um die Ausgangslage konstruktiv zu wenden, lässt sich auf eine für die Kommunalpolitik im Forschungsprojekt erarbeitete Handlungsempfehlung zurückgreifen:

Aufmerksamkeit durch verkehrspolitische Innovationen auf Kommunen lenken

Der kommunalpolitische Wettbewerb wird neben ökonomischen Faktoren (Steuern, Bauland, vorhandene Cluster) ebenso auf Basis von sozial-ökologischen Faktoren (Lebensqualität, Lärm- & Schadstoffemissionen, Zugang zu kulturellen Angeboten) ausgetragen. In diesem Zusammenhang steigern hochqualitative und innovative Verkehrssysteme die Standortvorteile der einzelnen Kommunen. Kommunen, die über diese sozial-ökologischen Qualitätsmerkmale verfügen, müssen diese offensiv kommunizieren, um existierende Wettbewerbsvorteile zu nutzen.

Für die Kommunalpolitik bedeutet diese Handlungsempfehlung, dass die einzuhaltenden Grenzwerte als Möglichkeit genutzt werden müssen, sozial-ökologische Qualitätsmerkmale herzustellen, um diese anschließend als Wettbewerbsvorteile auszuspielen. Konkret bedeutet dies, dass man mithilfe des gerichtlichen Drucks das innerstädtische Verkehrssystem so ausgestaltet, dass zusätzlich auch Ziele, wie bspw. Lärmreduktion, Lebensqualität und soziale Teilhabe erreicht werden. Welchen sonstigen Vorteil bietet bspw. eine Straße, auf der zwar Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge gelten, diese aber nur durch andere verbrennungsmotorische Fahrzeuge ersetzt werden, die mit gleicher Geschwindigkeit und gleichem Flächenverbrauch keine Änderungen von Lärmemissionen und Gefahrenpotenzial darstellen? In einem solchen integrierten Gegenkonzept wären dann nicht mehr punktuelle Fahrverbote die geeignete Maßnahme zur Zielerreichung, sondern ein an den Zielen abgeleitetes Maßnahmenbündel, das bspw. aus flächendeckendem Tempo 30 und Parkraumbewirtschaftung, Umwidmungen von Fahrspuren und Parkplätzen zulasten des MIV bei gleichzeitiger Förderung des Umweltverbunds besteht. Hierbei ist eine verpflichtende Kopplung von Push- und Pull-Maßnahmen essentiell.

Zwar wurden durch das Verwaltungsgericht Stuttgart singuläre Maßnahmen wie bspw. die City-Maut als nicht ausreichend wirksam zur Problemlösung erachtet, dies heißt jedoch nicht, dass das strategische Konzept der integrierten Verkehrsplanung als unwirksam erklärt wurde. Auch ließe sich durch das Konzept der originäre Grund der politischen Ablehnung von Fahrverboten auflösen; Die implizite soziale Ungerechtigkeit von Fahrverboten, die einzelne Personengruppen aus dem System ausschließt wird durch den Ansatz ersetzt, bei dem der MIV solidarisch zugunsten des Umweltverbunds zurückgenommen wird. Hierbei stellt sich gar nicht erst die Abwägungsfrage zwischen Gesundheit und allgemeiner Handlungsfreiheit, da letztere unangetastet bleibt.

Außer Frage steht bei diesem Alternativszenario jedoch, dass auch hier Einschränkungen für den MIV vorzunehmen sind. Ein Ansatz, der ausschließlich alternative Fortbewegungsmittel fördert, wird nicht die gewünschten verkehrlichen Effekte hervorbringen und damit auch weiteren Klagen nicht standhalten können. Hier gilt das ökonomische Prinzip, dass die (MIV-) Nachfrage solange steigt, bis ein Angebotspreis erreicht ist, den die Nutzenden nicht mehr bereit sind zu zahlen und sich alternativer Verkehrsmittel bedienen. Da bislang nur in geringem Umfang eine monetäre Bepreisung von Straßen und Stellplätzen stattfindet, sind die nachfragebegrenzenden Kosten für die Nutzenden Staus, Parkplatznot und Zeitverluste. Solange diese immateriellen Preise die Nachfrage limitieren, wird das vorhandene innerstädtische Angebot von Straßen und Stellplätzen immer weitestgehend ausgeschöpft. Ist sich die Kommunalpolitik diesem Umstand bewusst, kann sie wirksame Maßnahmen forcieren, die für die Kommune weitaus attraktiver sind als streckenbezogene Fahrverbote.

Ausgangslage Interessen­vertretungen Verkehrsumwelt

Für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt bzw. zivilgesellschaftliche Interessenvertretungen wurde im vorangegangenen Forschungsprojekt gezeigt, dass diese im Prozess des politischen Interessensausgleichs eine konfrontative Position gegenüber der etablierten Verkehrspolitik einnehmen. Das strategische Ziel ist dabei die Verringerung der ökologischen Auswirkungen des Verkehrs, die durch das Verkehrsverhalten bedingt werden. Damit wird eine fundamentale Wende der derzeitigen Verkehrspolitik angestrebt.

Die dargestellte Strategie scheint zunächst erfolgreich zu sein. So wurden durch Klagen Kommunen, Länder und Bund unter Handlungsdruck gesetzt, bestehenden rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und verkehrspolitische Justierungen vorzunehmen. Jedoch muss auch festgestellt werden, dass der juristisch erzeugbare Druck bloß ein Element der strategischen Ziele abdecken kann. So sind Schadstoffemissionen nur Teilaspekt der ökologischen Frage des Verkehrs neben weiteren Umweltwirkungen wie bspw. Bodenversiegelung oder Lärm. Eine ausschließlich konfrontative (juristische) Strategie ist mit Blick auf die ökologischen Ziele nicht erfolgreich.

Empfehlungen für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt

Sofern Kommunen die Ausgangslage konstruktiv wenden und eine integrierte Verkehrspolitik sowie Mobilitätsmanagement als Gegenkonzept zu Fahrverboten aufgreifen, kann die entwickelte Handlungsempfehlung durch die Interessenvertretungen genutzt werden:

Einbringung von Umweltaspekten im Mobilitätsmanagement sowie Treiber und Motivator

Unter den derzeitigen Gegebenheiten mangelt es dem Gesamtgefüge an einer politischen Stimme, welche die Interessen der ökologischen Nachhaltigkeit beharrlich vertritt. Dabei verfügen die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt über exklusive Expertise, die Operationalisierung der strategischen Ziele auf die ökologischen Nachhaltigkeitsziele hin auszurichten. Die damit erfolgende Abkehr von einer konfrontativen Position, hin zu einer kooperativen, muss genutzt werden, um Mobilitätsmanagement in den Entwicklungsplänen zu institutionalisieren.

Damit kommt den Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt in Zukunft die kommunalpolitische Aufgabe zu, die vorhandenen Anknüpfungspunkte auf die gesamte ökologische Frage des Verkehrs hin auszurichten. Hierbei sind Lösungen zu entwickeln, die neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch soziale und ökonomische Ziele der Kommunalpolitik integrieren. In diesem Zusammenhang müssen die zivilgesellschaftlichen Interessenvertretungen der Kommunalpolitik aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen zukünftige Klagen abgewendet werden können.

Fazit

Nach den Urteilen zu Fahrverboten sollte die Kommunalpolitik ihre Kapazitäten nicht nur dafür aufwenden, möglichen Straßensperrungen defensiv entgegenzuwirken, sondern aktiv die neu gewonnene Gestaltungsmacht für eine nachhaltige Transformation des Verkehrssystems nutzen. Jedoch gilt auch für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt, dass ein juristisches Vorgehen nicht die ökologische Frage des Verkehrs in Gänze wird lösen können. Vielmehr bieten die anstehenden Fahrverbote neue Handlungsperspektiven für die Städte, die von beiden Akteursgruppen kooperativ genutzt werden sollten. Hierdurch kann die vermeintlich desparate Ausgangslage konstruktiv zugunsten einer Integrierten Verkehrspolitik gewendet werden. Dabei ist elementar, die verkehrspolitischen Maßnahmen in einen restriktiven Rahmen für den MIV einzubetten, da sonst die angestrebten Verkehrs- und Emissionsminderungen nicht zu erreichen sind. Das Zeitfenster des erweiterten Handlungsrahmens für Kommunen ist begrenzt und besteht nur solange Emissionsgrenzwerte in den jeweiligen Städten überschritten werden.

Quellen:

(1) Hierzu wurde von den Autoren im Artikel „Vom Kampf­begriff zum anerkannten Planungsinstrument“ (mobilogisch 4/16) das Konzept der integrierten Verkehrsplanung dargelegt.

(2) Die entsprechende Broschüre „Mobilität erfolgreich managen“ steht auf der Homepage des Fachgebiets zum Download bereit und wird auf Anfrage als print versendet (ivp.tu-berlin.de).

 

Dieser Artikel von Oliver Schwedes, Benjamin Sternkopf und Alexander Rammert ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2018, erschienen.

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