Der in der Mobilitätsforschung verwendete Wege-Begriff verlangt die Bestimmung eines (hauptsächlich genutzten) Verkehrsmittels pro Weg. Da dieser Wegebegriff aber mehrere Etappen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln umfasst, bevorzugt er bestimmte Verkehrsmittel und benachteiligt andere. Verlierer ist dabei nur das Verkehrsmittel Zu Fuß.

Etappen statt Wege

Das Problem der Wegedefinition ist so alt wie die Mobilitätsforschung selbst. Dabei ist die Frage, ob und wie die einzelnen Wege-Etappen erfasst werden, von zentraler Bedeutung. Wir haben uns in mobilogisch! 4/15 („So geht Wien“) mit diesem Thema schon einmal ausführlich befasst. In diesem Beitrag konnten wir zeigen, dass es durchaus möglich ist, die einzelnen Etappen eines Weges zu erfassen, auch sehr feingegliedert. Diese Erfassung verlangt aber ein empirisches Design, das – wenn es verlässliche Ergebnisse liefern soll – in etwa den doppelten Aufwand wie eine „klassische Mobilitätsstudie“ erfordert. Aus diesem Grund gibt es sehr wenige Auswertungen zur Mobilität auf Etappenbasis. Das ist besonders für die Vertreter des Fußverkehrs problematisch. Denn ein großer Teil der bei einer Zusammenfassung der Wege nach klassischem Muster „verlorenen Etappen“ werden zu Fuß zurückgelegt.

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Hierfür gibt es aber einen Ausweg. Da sich einzelne Wege-Etappen in ihrer Struktur sehr ähnlich sind, können aus validen Etappen-Erhebungen Kennziffern gewonnen werden. Wenn man diese Kennziffern in andere Erhebungen einsetzt kann man dann die Etappen quasi simulieren. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass alle bei einem Weg genutzten Verkehrsmittel sauber erhoben wurden.

Datenbasis

Eine solche Datenbasis liegt uns vor (siehe linke Spalte). Sie ist (in deutschen Städten) im echten KONTIV-Design erhoben (alle Tage des Jahres, alle Haushaltsmitglieder), wurde schriftlich/postalisch durchgeführt (die Methodik, die mit Abstand die validesten Daten zur Mobilität misst), hat eine hohe Antwortquote und wurde im Hinblick auf die beiden größten Fehlerquellen bei solchen Erhebungen (Non-reported-trips und Non-response) korrigiert. Die Fallzahlen sind groß und die Daten auf das Jahr 2015 fortgeschrieben. Die klassischen Mobilitäts-Kennziffern zeigen ein vertrautes Bild.

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Dabei wurde für die Auswertung der Verkehrsmittelwahl das „Hauptsächlich genutzte Verkehrsmittel (HVM)“ gebildet. Wie das geht, haben wir an einem Beispiel gezeigt. Dabei handelt es sich um einen Arbeitsweg mit dem Bus. Dazu gehören neben der Fahrt im Bus zwei Fuß- und eine Warte-Etappe(n).

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Nach dem Muster HVM wäre dies ein Weg mit einem Verkehrsmittel (Bus), der bei Dauer und Entfernung die jeweiligen Tür-zu-Tür-Werte dem Bus zurechnet. Betrachtet man „alle genutzten Verkehrsmittel“, dann wäre dies ein Bus- und ein Fußweg. Da zwischen den beiden Fuß-Etappen nicht unterschieden werden kann, muss ein Wert x für die jeweiligen Fuß-Anteile zusammen geschätzt werden. Klarer wird das Bild erst, wenn wir uns auf die Etappen-Ebene begeben. Jetzt kann jeder einzelnen Etappe eine Dauer und eine Entfernung zugeordnet werden. Allerdings wird dann noch immer nicht berücksichtigt, dass es beim ÖV auch Wartezeiten gibt (sowohl bei Zugang wie auch beim Umsteigen). Dies kann durch Einführung von Warte-Etappen behoben werden.

Verkehrsmittel-Nutzung

Sobald die Wege in Etappen aufgegliedert sind, stellt sich ein Problem, das zu wiederkehrenden Diskussionen führt. Für viele Auswertungen muss nämlich ein Verkehrsmittel für einen Weg bestimmt werden. Dafür braucht es eine Prioritäten-Liste. Weltweit gilt hier fast überall dieselbe Reihenfolge: ÖV – Pkw – Fahrrad – Zu Fuß. Dies hat schon des Öfteren zu Diskussionen in der Automobil- wie auch der Fahrrad-Szene geführt. Man vermutete deutlich andere HVM-Werte, wenn der Pkw bzw. das Fahrrad an erster Stelle der Prioritäten-Liste gesetzt würden. Diese Sorge ist unbegründet. Da es so wenige Kombinationen der Verkehrsmittel ÖV, Pkw, Fahrrad bei einem Weg gibt, ist die Verkehrsmittelwahl nach HVM nahezu gleich, egal ob nach ÖV, Pkw oder Fahrrad gereiht wird.

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Das einzige Verkehrsmittel, das bei der Bildung eines HVM echt benachteiligt wird, ist Zu Fuß. Allerdings würde eine Priorisierung der Fußwege bei der Bildung des HVM dazu führen, dass der Anteil der Wege mit ÖPNV oder als Pkw-Mitfahrer unter die 0,5 Prozentmarke sänke. Deshalb wird bei Erhebungen im Etappenformat die Verkehrsmittelwahl auch auf Etappenbasis ausgewiesen. Das ist genauer als nach allen genutzten Verkehrsmitteln (weil dort nicht erkennbar wäre, dass es in unserem Eingangsbeispiel zwei Fuß-Etappen gibt) und erlaubt es, bei Bedarf auch noch die Warte-Etappen mit aufzunehmen.

Jetzt erkennen wir, dass pro Weg 1,58 Verkehrs­mittel genutzt werden und 1,81 bzw. 2,03 Etappen (ohne bzw. mit Warten) entstehen. Und wir sehen, dass fast jeder Weg (94 %) eine Fuß-Etappe enthält.

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Bezogen auf alle Etappen (inkl. Warten) liegt der Anteil der Fuß-Etappen bei 57 %; es folgen Pkw-Fahrer (19 %) und ÖPNV (12 %) (s. rechts oben).

Etappen

Die mit Abstand meisten Etappen pro Weg finden wir naturgemäß beim ÖPNV (5,24). Dabei werden im Schnitt 1,41 öffentlichen Verkehrsmittel genutzt und fast vier (3,74) Fuß-Etappen zurückgelegt. Auch bei den motorisierten Individualverkehrsmitteln liegt der Anteil der Fuß-Etappen relativ hoch (zwischen 0,54 und 0,62). Lediglich das Fahrrad wird häufig ohne weitere Fuß-Etappen genutzt.

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Die Stadtbewohner(innen) in unserem Datenbestand sind im Schnitt 65 Minuten unterwegs, den größten Anteil davon Zu Fuß (reine Fußwege = 12 min; Fuß-Etappen = 9 min und Warten = 3 min). Dieser Wert übertrifft alle anderen Verkehrsmittel. Es folgen Pkw-Fahrten mit 20 und ÖPNV-Fahrten mit 9 Minuten. Der Anteil der Fahrrad-Fahrten und Fahrten als Mitfahrer ist noch geringer. Vor allem beim ÖPNV fällt aber auf, dass die nach HVM ermittelte Zeit (18 Minuten) genau doppelt so hoch ist, wie die tatsächliche in einem ÖPNV-Fahrzeug verbrachte (9 Minuten).

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Hieraus ergibt sich eine einfache Faustregel, mit der man die tatsächlich zu Fuß verbrachte Zeit aus einer „klassischen“ Mobilitäts-Erhebung ableiten kann. Man muss nur die unter HVM ausgewiesene Zeit (in unserem Fall 12 Minuten) verdoppeln, um die gesamte Zeit für Zufußgehen, Fuß-Etappen und Warten zu erhalten.

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Von dieser gesamten Zeit (24 Minuten = 200 %) entfällt etwa ein Viertel auf den ÖPNV (52 von 200 %) und etwa ein Achtel (25 von 200 %) wird mit „Warten“ zugebracht.

In krassen Gegensatz zu diesen Befunden stehen die Auswertungen, die die MiD zu Etappen anbietet. Dort wird das (wichtigste) Verkehrsmittel Zu Fuß ignoriert. Dadurch ergeben sich 86 % „ÖPV-Fahrten“, bei denen „nur ÖPV“ genutzt wird.

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Dagegen zeigen unsere Auswertungen, dass 94 % aller ÖPNV-Fahrten mit den Verkehrsmitteln Zu Fuß verknüpft sind. Dieses Ergebnis gilt zwar nur für deutsche Städte, würde sich aber für Gesamt-Deutschland nur geringfügig ändern.

Dabei sind die hier dargestellten Etappen von sehr unterschiedlicher Natur (das kann beispielsweise ein kurzer Fußweg zum geparkten Auto sein, ein sehr viel längerer Fußweg zur S-Bahn oder das Warten beim Umstieg von Bus auf Straßenbahn). Diese Unterschiede werden auch deutlich, wenn wir die Geschwindigkeiten vergleichen, die bei den einzelnen Fuß-Etappen festgestellt werden können.

Die durchschnittlich ermittelte Geschwindigkeit über alle Fußwege und Fuß-Etappen liegt bei 3,7 km/h. Diesen Basiswert setzen wir gleich Hundert. Dann zeigt sich, dass reine Fußwege fast genau diesem Durchschnitt entsprechen (Index 101), dass am schnellsten auf dem Weg zur – oder von einer – ÖPNV-Haltestelle gegangen wird und dass die Eile offenbar geringer ist, wenn andere Verkehrsmittel erreicht werden sollen.

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Bei einer genaueren Betrachtung der Fuß-Etappen zum oder vom ÖPNV ergeben sich weitere Unterschiede. Man kann diese Etappen gliedern danach ob sie von zu Hause weg oder nach Hause führen. Und man kann sie danach unterscheiden ob ihr Ziel eine Haltestelle oder ob die Haltestelle die Quelle ist. Zusätzlich gibt es natürlich auch Wege, die weder zu Hause beginnen noch dort enden („Zwischenwege“).

Dabei fällt auf, dass Wege zur Haltestelle immer schneller sind als von der Haltestelle (Ausnahme: Das Ziel ist zu Hause) und dass es dann besonders eilig ist, wenn wir von zu Hause zum ÖPNV oder (siehe oben) wieder nach Hause wollen.

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Kennziffern

Die vorliegende Auswertung hat gezeigt, dass es möglich ist, einen Etappenbestand aus einer klassischen Mobilitäts-Erhebung quasi zu simulieren, sofern in dieser Mobilitäts-Erhebung alle genutzten Verkehrsmittel valide erfasst sind.

Damit ergeben sich einige Kennziffern, die das Repertoire der bisher gebräuchlichen Standard-Kennziffern (z.B. 3,0 Wege pro Person/Tag) ergänzen können. Diesem Standard kann man hinzufügen: ca. zwei Etappen pro Weg, fünf - sechs Etappen pro Person/Tag und eine Fuß-Etappe pro Weg. Diese Werte steigen an, wenn in einer Stadt der ÖPNV-Anteil über dem hier zugrundeliegenden Wert (17 %) liegt, und sie sinken ab, wenn der ÖPNV-Anteil darunter liegt.

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Ungeachtet dieser Konstellation zeigt sich aber durchgängig, dass bei den klassischen Mobilitätsauswertungen das Zufußgehen das „hauptsächlich vernachlässigte Verkehrsmittel“ ist.

In Kürze

Obwohl die eigenen Beine das einzige Verkehrsmittel sind, das jede(r) jederzeit nutzt und obwohl jeder weiß, dass ein Verkehrsmittel wie der ÖPNV ohne Fuß-Etappen gar nicht existieren könnte, findet diese Selbstverständlichkeit bei den gängigen Mobilitäts-Erhebungen wenig Berücksichtigung. Dieser Beitrag zeigt wie diesem Mangel ohne großen Aufwand begegnet werden könnte.

Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2017, erschienen.

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