Bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ergeben sich fast immer Etappen bei Zu- und Abgang, oft auch noch dazwischen. Diese Etappen sind ein wichtiger Bestandteil des gesamten Weges; deshalb sollten sie eine gebührende Beachtung erfahren.

Standards in der Mobilitätsforschung

Wenn man sich die Erhebungen der empirischen Mobilitätsforschung in den letzten fünfzig Jahren ansieht, kann man erkennen, dass eines der schwierigeren Probleme darin bestand, sich auf eine einheitliche Definition eines Weges festzulegen. Ein Weg ist meist die kleinste Einheit der Mobilitätserhebungen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie dieser Weg definiert wird.

Während eine Reihe von Mobilitätsforschern versucht haben, ihre Vorstellungen eines Weges zu formulieren und bei Erhebungen den Befragten zu erläutern (oft mit mehr verwirrenden als klärenden Beispielen), haben andere erst einmal ermittelt, was in der Bevölkerung landläufig unter einem Weg verstanden wird. Trifft sich nämlich – so die Überlegung – diese Vorstellung mit denen der Forscher, dann braucht man entsprechende Befragungen nicht mit komplizierten Definitionen befrachten. Dadurch wird den Befragten das Antworten erleichtert, Ausschöpfung und Datengenauigkeit werden besser.

So ist es im Prinzip dann auch gekommen. Für die meisten Menschen umfasst ein Weg alles, was passiert, bis sie ein Ziel erreichen, an dem sie eine Aktivität ausüben (z.B. Einkauf, Arbeit etc.). Man nennt das auch „aktivitätenbezogene Wegedefinition“. Die Verwendung dieser Definition war in vielen Befragungen sehr erfolgreich und auch ausreichend. Da aber mehrere Teilstücke eines Weges (Etappen) zu einer größeren Einheit (Weg) zusammengefasst werden, sind auch Vereinfachungen nötig. Diese beziehen sich z.B. auf die Zahl der Etappen (die dann nicht mehr bekannt ist), auf Entfernung und Dauer (die meist nur für den gesamten Weg mit allen Etappen ausgewiesen werden können) und auf das genutzte Verkehrsmittel. Hier ist es zwar möglich, alle auf dem Weg genutzten Verkehrsmittel zu erfassen, aber nicht die Häufigkeit (und manchmal auch nicht die Reihenfolge) ihrer Nutzung. Aus diesen Angaben wird dann das „hauptsächlich genutzte Verkehrsmittel“ (HVM) gebildet. Für dessen Ermittlung gibt es wiederum verschiedene Regeln. Die gebräuchlichste arbeitet mit einer Hierarchie von Verkehrsmitteln. Dabei zählt jeder Weg bei dem (auch) ein öffentliches Verkehrsmittel genutzt wird, als ÖV-Weg. Danach „schlägt“ der Individualverkehr (IV) den nichtmotorisierten (NMV) und innerhalb des nichtmotorisierten das Fahrrad die Fußwege.

Dies bedeutet, dass Etappen mit anderen Verkehrsmitteln dem „hauptsächlich genutzten Verkehrsmittel“ ÖV untergeordnet werden und – im Umkehrschluss – dass „zu Fuß“ nur dann als HVM ausgewiesen wird, wenn es sich um eine reine Fußetappe (= Fußweg) handelt.

Die Schwächen dieses Vorgehens liegen auf der Hand und man kann sich fragen, warum nicht gleich alle Etappen erhoben werden. Dazu muss man wissen, dass die Erhebung aller Etappen eines Weges eine mehrfache Komplikation der Erhebungsmethodik darstellt, deren Folgen nicht hinreichend bekannt sind. (Auch der in diesem Zusammenhang gerne zitierte Schweizer Mikrozensus kämpft mit diesen Problemen mehr als es den Anschein hat.)

Notwendigkeit von Informationen über Etappen

Unter den Projekten von Socialdata gibt es eine Gruppe, bei denen Informationen über Etappen besonders wichtig sind: Bei der Ermittlung der verschiedenen Formen der Zufriedenheit mit dem Angebot an öffentlichen Nahverkehrsmitteln (siehe mobilogisch! Heft 3/13: Der Kunden-Zufriedenheits-Sieger-Wahn im ÖPNV). Befasst man sich nämlich mit dieser Zufriedenheit, stellt man rasch fest, dass die in der Branche gebräuchlichen, eher pauschalierenden Urteile (siehe beispielsweise ÖPNV-Kundenbarometer 2012, TNS Infratest, München 2012) gar keinen Bezug zu den einzelnen Etappen herstellen (können). Es ist aber leicht nachvollziehbar, dass einzelne Etappen auf einem ÖPNV-Weg durchaus unterschiedlich bewertet werden können. Diese anderen Bewertungen dürfen nicht miteinander vermischt werden, sondern es muss möglich sein sie in der Auswertung zu trennen.

Aus diesem Grund wird eine Kundenzufriedenheits-Untersuchung auf Etappenbasis durchge-führt werden müssen, will sie dem Anspruch gerecht werden, den ÖPNV-Unternehmen realitätsgerechte Entscheidungshilfen für ihr unternehmerisches Handeln zu liefern.

Datenbestand

Gegenwärtig führen vier deutsche Unternehmen kontinuierliche Kundenzufriedenheits-Untersuchungen mit uns durch. Sie beinhalten u.a. eine kontinuierliche (also über das ganze Jahr gestreute) Verhaltenserhebung und eine – ebenso kontinuierliche – Ermittlung der bei der ÖPNV-Nutzung gemachten Erfahrungen. ÖPNV-Nutzung und Erfahrungen werden auf Etappenbasis erhoben.

Die vier Städte sind Augsburg, Fürth, Halle und Nürnberg. Sie sind für die Auswertungen in diesem Heft im Verhältnis 1:1:1:1 zusammengefasst. Der Datenbestand hat eine Größe von insgesamt über 75.000 Personen. Die „klassische“ Auswertung nach dem hauptsächlich genutzten Verkehrsmittel ergibt folgendes Bild: (Grafik 1)

 

 Grafik 1Grafik 1

Der Anteil an „reinen“ Fußwegen liegt bei einem knappen Viertel, der Anteil des öffentlichen Verkehrs (HVM) bei einem guten Sechstel (18 %).

ÖPNV-Etappen

Bei sorgfältiger Erhebung zeigt sich, dass jeder ÖPNV-Weg im Schnitt 5,28 Etappen ausweist. (Grafik 2)

 

 Grafik 2Grafik 2

Diese Etappen sind allerdings nicht nur „Mobilitäts-Etappen“ sondern beinhalten auch das Warten und Umsteigen. Durchschnittlich werden in diesen vier Städten 1,43 öffentliche Verkehrsmittel pro ÖPNV-Weg genutzt (= 1,43 Etappen „Fortbewegung“). Im Zu- und Abgang ergeben sich 1,06 bzw. 1,07 Etappen. Dieser Wert liegt über 1,0, weil jemand beispielsweise zum geparkten Auto gehen und dann mit dem Auto weiterfahren kann (zwei Etappen).

Betrachtet man nun die Verkehrsmittelwahl auf den Zu- und Abgangsetappen, dann zeigt sich die überragende Bedeutung der eigenen Füße. (Grafik 3)

 

 Grafik 3Grafik 3

Der Anteil der Fuß-Etappen liegt bei 96 bzw. 95 %. Das Fahrrad hält einen Anteil von 3 % (übrigens sowohl beim Zu- wie beim Abgang), der motorisierte Individualverkehr hat nur eine sehr geringe Bedeutung.

Mithilfe der hier vorgestellten Daten kann auch die Verkehrsmittelwahl auf Etappenbasis berechnet werden. Selbst wenn man diese Berechnung auf Wege beschränkt, bei denen das hauptsächlich genutzte Verkehrsmittel der öffentliche Nahverkehr ist, haben die Fuß-Etappen deutlich die Oberhand. Bei einem Weg, der in der klassischen Mobilitätsforschung als ÖPNV-Weg ausgewiesen wäre, werden nur 27 % der Etappen mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt; fast drei Viertel dagegen mit den eigenen Füßen. Der Anteil der anderen Verkehrsmittel liegt bei etwa 1 % oder unter 0,5 % (=0). (Grafik 4)

 

 Grafik 4Grafik 4

Die nach der eingangs beschriebenen Wege-Definition ermittelten ÖPNV-Wege dauern im Schnitt (von Tür-zu-Tür) 36 Minuten; fast die Hälfte dieser Zeit entfällt auf das zu Fuß-Gehen, nur etwas über die Hälfte tatsächlich auf öffentliche Verkehrsmittel. Mit denen wird allerdings der größte Teil der Entfernung zurückgelegt (93%). Diese Relationen sind im folgenden Bild noch mal für Dauer und Entfernung zusammengefasst: (Grafik 5)

 

 Grafik 5Grafik 5

 

Ein Viertel der gesamten Dauer eines ÖPNV-Weges wird demnach auf den Zu- und Abgang verwendet, fast genau so lange dauern Warten und Umsteigen. Die Entfernung zur bzw. von der Haltestelle liegt im Schnitt bei etwa 0,3 km.

Erfahrungen

In den gängigen Kundenzufriedenheits-Untersuchungen wird die Zufriedenheit anhand vorgegebener Merkmale (z.B. „Ausstattung der Haltestelle“) ermittelt. Dabei werden etwa 30 Merkmale telefonisch „im Eilzugstempo“ abgefragt. Ein solches Vorgehen wird dem Thema „Akzeptanz des öffentlichen Verkehrs in einer Stadt“ nicht gerecht. Deshalb erheben wir die Zufriedenheit differenzierter und mit verschiedenen Methoden. Eine davon ist die Erfassung der bei einem ÖPNV-Weg gemachten Erfahrungen. Diese Erfassung erfolgt explorativ, ohne jede Vorgabe oder Unterstützung. Sie ist in der Durch-führung aufwändig und anspruchsvoll, gibt aber einen guten Aufschluss darüber, worauf die Nutzer des öffentlichen Verkehrs achten, wenn sie unterwegs sind. Eine erste, einfache Auswertung ist dabei schon sehr aufschlussreich. (Grafik 6)

 

 Grafik 6Grafik 6

Untergliedert man nämlich alle explorativ erfassten Nennungen nur nach Etappenart in Zu-/ Abgang; Warten/ Umsteigen und Fortbewegung (das ist die eigentliche ÖPNV-Nutzung), so entfällt nur ein gutes Viertel aller Nennungen (27 %) auf die Fortbewegung. Ein nahezu gleich großer Anteil widmet sich dem Warten/ Umsteigen.

Damit zeigt sich, dass sich nur gut die Hälfte der „freien Nennungen“ mit dem ÖPNV befassen, der Rest aber (immerhin 45 %) mit den Zu- und Abgangsetappen. Und auf diesen Etappen dominiert – wie wir gesehen haben – das Verkehrsmittel „zu Fuß“.

Hier wird bestätigt, was wir alle wissen aber nicht immer beachten. Niemand will nur von Haltestelle zu Haltestelle fahren. Folglich können die Bedingungen bei Zu- und Abgang entscheidende Bedeutung bei der (Nicht-) Wahl öffentlicher Verkehrsmittel haben. Dabei ist wichtig, dass dieser Befund nicht das Ergebnis einer besonderen Auswahl von Städten ist (hier: Augsburg, Fürth, Halle, Nürnberg). Eine vergleichbare Auswertung anderer Städte, in denen wir solche Daten mit identischer Methodik erhoben haben, zeigt ähnliche Befunde in sechs weiteren Ländern, zwei davon (Australien, USA) mit einer durchaus anderen Mobilitätskultur. (Dabei ist das Österreich-Bild geprägt von Wien und dessen hohem Umsteigefaktor.) (Grafik 7)

 

 Grafik 7Grafik 7

Überall befasst sich ein knappes Drittel bis zu einer knappen Hälfte der Nennungen mit dem Zu- und Abgang. Diese hohe Bedeutung der Etappen vor bzw. nach der Nutzung ihrer Verkehrsmittel ist ÖPNV-Betreibern nicht immer bewusst. Und wenn ja, argumentieren sie gerne damit, dass dieser (wichtige) Teil eines ÖPNV-Weges von ihnen ja nicht oder nur bedingt beeinflusst werden kann. Das stimmt und stimmt nicht. Natürlich kann ein unattraktiver Fußweg kaum vom jeweiligen ÖPNV-Unternehmen verbessert werden. Aber die Information über dessen Bedeutung für die (heute ja erwünschte) stärkere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kann der ÖPNV relativ einfach erheben und bereitstellen. Und er kann damit unterstreichen, dass er eine elementare Bedeutung hat für das Leben und die Gestaltung der Mobilität in der Stadt, die über sein eigentliches Angebot und dessen Nutzung hinausgeht.

Zufriedenheit

Bei der explorativen Erfassung lassen wir die berichteten Erfahrungen auch bewerten. Hieraus kann ein einfacher Index gebildet werden. Dazu werden die erfassten Erfahrungen gleich hundert gesetzt und die negativen von den positiven abgezogen. Damit wäre der höchste mögliche Wert (nur positive Erfahrungen) +100, der höchste negative entsprechend -100. (Grafik 8)

 

 Grafik 8Grafik 8

Für alle ÖPNV-Fahrten wurde in unseren vier Städten über alle Merkmale ein sehr positiver Zufriedenheitswert bei den Erfahrungen erreicht (+53). Die vorliegenden Daten erlauben es aber, diesen Wert in verschiedener Form aufzugliedern, u.a. nach Art der jeweiligen Etappe.

Dabei zeigt sich, dass Zu- und Abgang die höchsten Zufriedenheitswerte erreichen; Umsteigen und Warten liegen immer noch vor der eigentlichen Fortbewegung. Hier muss man beachten, dass jeweils Wege exploriert wurden von Menschen, die sich entschlossen haben, ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen. Dieser Entschluss ist ihnen offenbar leicht(er) gefallen, weil der Zu- und Abgang (fast immer zu Fuß) angenehm war und/ oder weil sie damit andere Interessen verbinden konnten (z. B. körperliche Aktivität, „Schaufenster-Schauen“, Treffen anderer Menschen etc.).

Die in der klassischen Mobilitätsforschung kaum beachteten Etappen, die mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden sind, bekommen so eine neue Bedeutung. Eine ÖPNV-Analyse von Haltestelle zu Haltestelle greift demnach (viel) zu kurz und eine ansprechende Gestaltung der Zu- und Abgangsmöglichkeiten trägt vermutlich auch zu einer stärkeren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei. Damit braucht ÖPNV-Planung auch ausreichende Maßnahmen für das „Umfeld“ und die Planung von Nahbereichen in unseren Städten erhält einen zusätzlichen Impetus.

In Kürze

Die Nutzer(innen) öffentlicher Nahverkehrsmittel verbringen genau so viel Zeit auf dem Weg zu, von oder an der Haltestelle wie im Verkehrmittel selbst. Sie legen diese Etappen in der Regel zu Fuß zurück und sind dabei deutlich zufriedener als mit der ÖPNV-Fahrt selbst. Für Stadtplaner und ÖPNV-Betreiber ist deshalb wichtig: Die Fußwege sind ein unverzichtbarer Bestandteil der ÖPNV-Nutzung.

 

Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2014, erschienen. 

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