Erfahrung und Hypothese der Autoren ist es, dass im städtischen Alltag die meisten existierenden Orte mit herausragender Klangqualität ohne akustische Absichten entstanden sind und dass das zufällige Zusammenspiel von Gebäudefassaden nicht ein Resultat von architektonischer Planung ist. Ist ein attraktiver Stadtklang damit bloß eine Frage des Zufalls? Oder besteht die Chance des Stadtklangs gerade in ihrer Unplanbarkeit? Kann das Hören der Stadt als aktive Grundlage für Stadtklangerzeugung und -gestaltung verstanden werden? Wie können die an der Stadtplanung und Freiraumgestaltung beteiligten Akteure „akustisch“ verantwortlich werden? Überraschenderweise spielen die Bodenflächen und ihre Oberflächen für den Fußverkehr eine ganz entscheidende Rolle.

Die Klangqualität eines Orts beeinflusst uns in der Standortwahl für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Sie schlägt sich in unserer Bereitschaft nieder, einen bestimmten Grundstückpreis zu zahlen oder an eine Wohnlage mit hohem Mietpreis zu ziehen. Sie drückt sich in unserer Aufenthaltsdauer an einem Ort aus und sie wirkt auf unsere Befindlichkeit. Sie ermöglicht es, dass wir uns in der Stadt grüßen und miteinander unterhalten. Die Bedeutung des Stadtklangs für die Attraktivität eines Ortes ist grundsätzlich bekannt, wird in der Planung und Gestaltung urbaner Räume für gewöhnlich aber nicht weiter berücksichtigt. Meist begnügen wir uns damit, unerwünschte Geräusche möglichst zu vermeiden und den Verkehrslärm zu reduzieren. Entscheidungen werden in der Planung und Gestaltung zudem fast ausschließlich nach visuellen, funktionalen und ökonomischen Gesichtspunkten gefällt. Wozu also sollten wir einer Stadt überhaupt zuhören?

Stadthören

Wir befinden uns stets in einer bestimmten Hörperspektive. Pendler, die einen Stadtplatz täglich überqueren, hören diesen Ort sozusagen mit anderen Ohren als beispielsweise Touristen oder Anwohner. Die Hörperspektive macht uns quasi „hörblind“, unempfindlich gegenüber allen nicht für uns relevanten akustischen Informationen. Wie wir einen Ort hören, beeinflusst uns, ob unser Aufenthalt an diesem Ort ein unangenehmes Erlebnis, einfach nur laut und langweilig, nicht der Rede wert, oder ein erfreulicher Ausschnitt in unserem klingenden Alltag darstellt. Egal wie lange eine solche individuelle Hörsequenz unserer Umgebung dauert, sie kann entscheidend dafür sein, ob wir über diesen Ort positiv sprechen und sie kann uns dazu anregen, den Ort anzunehmen und damit seine Reputation und des gesamten Stadtquartiers zu stärken. Der städtische Alltag zeichnet sich dadurch aus, dass wir unsere Hörperspektive ständig wechseln und daher gezwungen sind, die Hörsituation laufend neu zu beurteilen.

Klangraumqualität

Mit ihren Böden, Fassaden und Gebäuden, die in immer wieder neu entstehenden Konstellationen unzählige Hallkammern, Echowände und Resonanzräume bilden, moduliert, schluckt, verstärkt, reflektiert und filtert die Stadt sämtliche Geräusche und Klänge. Die feinen Schallenergien in den zahllosen Echos regen immer wieder von neuem Resonanzfelder an, die den Stadtklang mit charakteristischen Klangspektren einfärben. Diese akustischen Muster erleben wir als hörbare Summe. Dabei hören wir nicht nur gerade eben freigesetzte Schallenergien. Die akustischen Phänomene in der Stadt sind immer auch Ausdruck einer ganz bestimmten Baukultur. Alte Steinfassaden haben eine eigene akustische Patina und klingen anders als in Glas erstellte Gebäude.

Die städtischen Alltagsräume können ähnlich wie ein Musikinstrument mit Hilfe von gezielten Maßnahmen „gestimmt“ werden. Bodenflächen, Wandoberflächen, Gebäude und große Bauten, kleine Objekte und Bauten, aber auch feinste Geräusche und Klänge aus der Natur spielen vor Ort jeweils zusammen und sind gemeinsam für Klangraumqualität verantwortlich. Baumaterialien, Bauwerke und Baustile artikulieren den Stadtklang ihren Eigenschaften entsprechend. Materialart, Oberflächenbeschaffenheit, Feuchtigkeitsverhalten, Form, Größe, Masse und Anordnung lenken die Schallausbreitung nach akustisch-physikalischen Gesetzen und beeinflussen damit unmittelbar unseren Höralltag. Für die akustische Raumwahrnehmung ist der Stadtboden am wichtigsten. Bodenflächen reflektieren und absorbieren den Schall nicht nur, sondern sind direkt an der Schallerzeugung beteiligt und beeinflussen unsere Geschwindigkeit und Bewegungsfreiheit in der Stadt. Die Ausführung des Stadtbodens und die Begehbarkeit der Stadt ist daher in besonderem Masse entscheidend dafür, wie wir die Stadt zu Fuss erleben. Sind die Böden im öffentlichen Raum darauf hin gestaltet?

Welche Klangqualitäten ein Ort aufweist ,lässt sich anhand eines Plans oder Fotos in der Regel nicht beurteilen. Um die Klangraumqualität zu bestimmen, ist es unabdingbar, den jeweiligen Ort direkt in Augen- und Ohrenschein zu nehmen. In der Regel können wir rasch feststellen, ob wir einen Ort mögen oder nicht, ohne jedoch zu hören, weshalb dies so ist. Dazu haben wir uns zu stark ans Schwarzweiß-Hören gewöhnt. Wir sprechen von lärmigen und ruhigen Orten, ohne aber genau zu wissen, was genau diese Orte akustisch auszeichnet. Sobald wir unserem Gehör vertrauen und uns auf einem Spaziergang ein paar Schritte in den Klangraum einer Stadt vorwagen, entdecken wir den akustischen Reichtum einer Stadt. Wir beginnen zu ahnen, was eine Kultur des Stadthörens auslösen könnte. Wir entdecken, dass Stadthören bedeutet unseren Mitmenschen zuzuhören, die alle gleichzeitig miteinander kommunizieren und koexistieren. Wir merken, dass wir uns mitten in diesem unüberschaubaren Chor befinden, der spricht, summt, flüstert, schreit, klopft, sägt, Türen zuschlägt, Motoren startet, schimpft, flucht, hustet, weint, lacht.

Hörenswerte Orte im städtischen Alltag

Im Folgenden werden beispielhaft städtische Alltagsorte vorgestellt, die den Verkehrslärm aus der alltäglichen Wahrnehmung der Fußgänger zurückdrängen. Die Projekte sind dabei jeweils ohne besondere akustische Planung entstanden. Ihre außerordentlichen akustischen Wirkungen wurden bei wiederkehrenden Begehungen entdeckt und anschließend untersucht.

Am Rahmen der Neugestaltung des Limmatplatz Zürich ist ein Bauwerk entstanden, das sich positiv auf die Aufenthaltsqualität für den Stadtplatz auswirkt. Der Limmatplatz wird räumlich durch sechs Glaszylinder von 7  bis 16 m Durchmesser gegliedert. Eine mit runden Öffnungen versehene auskragende Betondecke überdeckt den inneren Platzbereich. Die vertikalen Zylinder streuen und reflektieren den tieffrequenten Schall der Autos und Lastwagen, so dass sie Wellenbrechern gleich die Unruhe des Platzes mindern und die akustische Raumtiefenschärfe erhöhen. Die ein- und ausfahrenden Trams sind willkommene Klangfallen und unterstützen die Platzqualität zusätzlich. Wo bis vor wenigen Jahren der Lärm den Platz fest im Griff hielt, finden wir heute trotz überwiegend schallharter Materialien eine große Anzahl an unterschiedlichen Klang­räumen, welche die Aufenthaltsqualität des Platzes und die Bedingungen für eine akustische Raumorientierung deutlich steigern.

Egal ob wir ein Gespräch führen, ein Buch lesen, uns laut verhalten oder einfach nur durchgehen, die Elisabethenanlage in Basel weist vielfältige akustische Angebote und Zustände auf, die sich gegenseitig nicht ausschließen. Ermöglicht wird dies durch das gegen die Altstadt abfallende Terrain, welches im Höhenverlauf zusätzlich moduliert ist. In Kombination mit den mächtigen Baumgruppen erzeugen die bis et­wa zwei Meter hohen Niveauunterschiede einzelne Hörnischen und geben der Parkanla­ge ihre akustische Struktur. Das riegelförmige Gebäude am unteren Ende der Elisabethenanlage bildet die Rückwand dieser großräumigen Stadtarena. Der längs zum Gebäude verlaufende Weg ist verkehrsfrei und verhindert so, dass die Parkanlage von unten her verlärmt. All diese Elemente spielen zusammen und erzeugen in der Elisabethenanlage eine faszinierende Hörsituation – wohlgemerkt mitten im Lärm der Stadt.

Für die Neugestaltung des Hotels Greulich in Zürich wurde ein ehemaliges Wohngebäude, worin auch eine Autoreparaturwerkstatt untergebracht war, umgebaut. Das bereits vorhandene Glasdach wurde vergrößert und verbindet neu die beiden ehemaligen Werkstätten im Innenhof. Die Architekten konnten den Besitzer überzeugen, im Innenhof ein Birkenwäldchen anstelle der geplanten Parkplätze anzulegen und schufen so mitten in der Stadt ein akustisches Juwel. Drei ineinander liegende, optimal aufeinander abgestimmte Raumfolgen sind entstanden. Ebenerdige Hotelzimmer, die nur über den offenen Hof erreichbar sind, bilden den inneren Kern. Die bestehenden Wohngebäude umschließen den Innenhof und bilden eine wohlproportionierte Arena. So dringen die Stadtklänge gut abgeschattet durch die Hofeinfahrten in den offenen Innenraum.

Mehrwert für die Stadt

Wir bringen die Stadt überall dorthin, wo wir uns aufhalten. Gegenwärtig führen die fortschreitende Ausbreitung der Städte und unser ungestilltes Bedürfnis nach Ruhe und Mobilität zu immer ungünstigeren Hörsituationen. Um Klangqualität im öffentlichen Raum anbieten zu können, müssen positiv erlebte Orte in der Stadt aber nicht nur vorhanden und zugänglich sein. Sie müssen von den Nutzern und Anwohnern insbesondere auch entdeckt und angenommen werden können. Anwesenheit und Aufenthalt im öffentlichen Raum, beispielsweise initiiert durch partizipatorische Prozesse, sind daher grundlegende Voraussetzung für Stadtklangqualität. Das Stadthören ist die erste Qualitätsstufe einer akustischen Stadtgestaltung. Nur wenn die hörbaren Qualitäten und Potentiale der Stadt gefunden werden, können die maßgebenden Akteure auch die entscheidenden Maßnahmen zur Verbesserung der Hörsituation treffen. Eine für den Fußverkehr attraktive Vernetzung und Vermaschung von kontrastreichen und differenzierten Orten bildet dabei das essentielle Rückgrat für die Entstehung resilienter Stadträume, die langfristig eine außergewöhnliche Stadtklangqualität erreichen.

Trond Maag, www.urbanidentity.info Andres Bosshard, www.soundcity.ws

In Kürze

Orte im städtischen Alltag mit herausragender Klangqualität sind meist ohne akustische Ab-sichten entstanden. Das Hören der Stadt ist aktive Grundlage, um die urbanen Qualitäten des öffentlichen Raums als Nutzer und Anwohner zu entdecken und als Planer und Gestalter hörbar zu machen.

Literatur :

Bosshard, A. (2009). Stadt hören. Klangspaziergänge durch Zürich. Zürich: NZZ Libro.

Katrinem (seit 2004). GANGARTEN go your gait! Projekte und Ausstellungen. www.katrinem.de

Kocan, T. (2013). Participatory processes as tools for designing public spaces. Thesis. Lausanne: Université de Lausanne.

Maag, T. & Bosshard, A. (2012). Klangraumgestaltung – mit offenen Ohren durchs Mittelland. Fallbeispiele im Nebeneinander urbaner Stimmen. Bern: Bundesamt für Umwelt.

Maag, T. & Bosshard, A. (2012). Chancen im Lärm: Fünf Fallbeispiele im urbanen Raum des Kantons Zürich. Zürich: Baudirektion Kanton Zürich.

Maag, T. & Bosshard, A. (2013). Frag die Fledermaus. Fünf Werkzeugkästen zur Klangraumgestaltung. Zürich: Baudirektion Kanton Zürich

Maag, T. (2013). Cultivating urban sound. Unknown potentials for urbanism. Thesis. Oslo: Oslo School of Architecture and Design AHO

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Dieser Artikel von Trond Maag und Andres Bosshard ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2015, erschienen. 

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